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Niederlage und Befreiung

Kant-Schüler lesen aus Tagebüchern zum Kriegsende

Bad Oeynhausen (ana). Schüler des Immanuel-Kant Gymnasiums ließen am Dienstag ein facettenreiches Bild einer Zeit zwischen Befreiung und Niederlage, Besetzung und Neubeginn entstehen. Zum Kriegsende nach 60 Jahren lasen sie aus Tagebüchern und anderen Quellen, die über die letzten Kriegstage und die Besatzungszeit in Oeynhausen berichten.

Stadtarchivar Rico Quaschny und Ursula Behrendt von der Frauengeschichtswerkstatt stehen als Organisatoren hinter der Veranstaltung. Mit Schülern der Jahrgangsstufe zehn suchten sie im Archiv Material heraus, um damit ein Programm auf die Beine zu stellen. Zum Vorschein kamen Tagebucheinträge von Studienrat Dr. Helmut Wocke (1890-1966), der im Frühjahr 1945 aus Schlesien nach Bad Oeynhausen geflüchtet war, die von Marius Gaede gelesen wurden. Andere zeitgenössische Aufzeichnungen und Quellen ergänzten diese.
So beschrieb Wocke seine Gefühle in diesem Tagebuch sehr genau, wie am 30. Januar 1945: »Ich fühle mich innerlich wie versteinert, alles ist dunkel und die Tage schleichen vor sich hin.« Dieses Gefühl innerlicher Betrübtheit wandelte sich im Laufe der kommenden vier Monate hin zu Hoffnung, aber auch Zweifel. Besonders mitgenommen hat ihn, dass Menschen, die noch nie eine Waffe in der Hand hatten, weder geschossen noch eine Ausbildung zum Soldaten hatten, in den Krieg geschickt wurden. Neben zahlreichen Erläuterungen zum Ablauf des Krieges, zu den Bombenzielen in Bad Oeynhausen und zum Einzug der Amerikaner schrieb er außerdem, dass Hauptsorge die Ernährung war und blieb. Sie hatten kein Gas und auch keinen Kohleherd. Die Folge dessen waren Plünderungen, die mit einer weiteren Kürzung der Ausgangszeiten bestraft wurden.
Erleichternd war, dass je einem Schüler ein Tagebuch zugeordnet war. So konnten die Zuhörer den Überblick behalten und trotzdem dem Vortrag gespannt folgen. Eine Foto-Auswahl wurde auf eine Leinwand projiziert. Sie begleitete die Vorträge der Schüler: Es wurden alte Zeitungen gezeigt, Fotos der Tagebuchbesitzer und Stadtpläne, um die Zerstörung zeigen zu können.
Weitere Tagebucheinträge von Rudolf Eickmeyer, Dr. Venker, Heinrich Deppe, Dr. Aly Hanna Scherer sowie Dr. Kronheim wurden vorgelesen von Christian Mewes, Stefanie Eickhoff, Jannis Funk, Simone Trysna, Marcel Steinhauer, Jannik Eikmeier, Miriam Fricke, Jennifer Behrens, Katrin Harbsmeier, Marie Heider und Marie Ostermann.
Dr. Helmut Wockes Tagebücher wurden 2002 erstmals veröffentlicht. Im Rahmen der Reihe »60 Jahre Kriegsende«, zu der die Lesung gehörte, werden am Dienstag, 26. April, in der Druckerei Erinnerungen von Zeitzeugen zu hören sein. Beginn: 19.30 Uhr.

Artikel vom 21.04.2005