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Piumer Archivar
betritt Neuland

»Ravensberger Blätter« zu Kriegsende

Von Matthias Meyer zur Heyde
Borgholzhausen/Bielefeld (WB). Um ein Haar wäre Borgholzhausen von der Landkarte radiert worden. Der Historiker Richard Sautmann schildert in der neuesten Ausgabe der »Ravensberger Blätter«, wie der Untergang des Ortes in letzter Minute verhindert wurde.

Als »Heldenfriedhof« galt einst ein Bereich des ev. Friedhofs von Borgholzhausen, der jetzt gar keinen Namen mehr trägt. »Das öffnet Räume für Interpretationen, für Spekulationen, Wünsche und Hoffnungen«, sagt Sautmann, Archivar von Borgholzhausen und Versmold. Vor allem die Identität der Bestatteten lässt aufhorchen: acht Mitglieder der Waffen-SS, zehn Wehrmachtsoldaten, ein italienischer Unteroffizier und vier Zivilisten - und keiner von ihnen stammte aus Borgholzhausen.
Mit seinen Forschungen, die neben zwei Aufsätzen der Historiker Martin Tabaczek (Augenzeugen des Kriegsendes in Bielefeld) Hans-Jörg Kühne (zu Flucht und Vertreibung) jetzt veröffentlicht und in Bielefeld vorgestellt wurden, betritt Sautmann Neuland. Denn die Quellenlage ist unerfreulich dürftig, und die Brisanz des Themas hat bislang niemand so recht erkannt.
Vielleicht deswegen: »Die Einwohner Borgholzhausens haben, wie die Menschen im gesamten Altkreis Halle auch, nur ein paar Angriffe mit Bordwaffen erlebt«, sagt Sautmann. »Zwar sahen sie ringsum die Städte im Bombenhagel brennen, doch ihr eigenes Leben war nur einen Tag lang unmittelbar bedroht: am 2. April 1945, als die US-Panzer kamen.«
Die hochdramatischen Ereignisse jenes Ostermontags breitet Sautmann nun kenntnis- und faktenreich vor seinen Lesern aus, und bei aller gebotenen wissenschaftlichen Distanz scheut sich der Historiker nicht, den Finger auf den neuralgischen Punkt zu legen: Wie konnten uniformierte Kämpfer, die nicht nur ihr eigenes Leben gering achteten, sondern mehrere Zivilisten in den Tod rissen und die physische Existenz einer ganzen Ortschaft aufs Spiel setzten, Platz auf einem »Helden«-Friedhof finden? Und unter welchen Vorzeichen wird die Bevölkerung künftig jenes Tages gedenken? »Ich wage die Prognose, dass dies erst der Auftakt zu einer Flut von Texten über das Thema ist«, glaubt Sautmann.
Vor allem zwei Borgholzhausenern ist der glimpfliche Ausgang der Kämpfe zu danken: dem Lebkuchenbäcker Heinrich Knaust und dem Elektromeister Wilhelm Vormbaum. Beide boten unter der weißen Fahne die Übergabe des Ortes an, beide wurden als Geiseln mitgeführt. Vormbaum bekam zu hören, die US-Air-Force sei bereits angefordert, weil man die SS unter den Verteidigern wisse. Erst nach inständigen Bitten der Geisel konnte das Bombardement per Funk abgesagt werden.
Die im Buchhandel erhältlichen »Ravensberger Blätter« (»Das Kriegsende vor 60 Jahren«) kosten vier Euro; für Mitglieder des Historischen Vereins sind sie kostenlos. Infos gibt es unter 05 21 / 51-24 69 und im Internet unter
www.hv-ravensberg.de

Artikel vom 16.04.2005