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Das Wort zum Sonntag

Von Christa Stausberg, katholische Kirchengemeinde Heilig-Kreuz


Eine russische Legende erzählt, wie Menschen nach der Feier der Osternacht auf dem Heimweg sind. Die meisten von ihnen sind arm. Ihr Herz ist voller Kummer. Plötzlich sehen sie ein helles Licht. Ein Mann begegnet ihnen.
Die Legende erzählt weiter, dass sich Christus nach seiner Auferstehung zunächst der Natur zugewandt und die Tiere, die Pflanzen, das Wasser und die Erde und sie mit den Worten segnete: »Der Friede sei mit euch! Ich bringe euch wieder den Frühling mit und die Wärme und das Licht. Die Flüsse werden jetzt wieder vom Eis befreit, und die Steppe wird wieder grün, und der Wald wird wieder vom Gesang der Vögel und dem Duft der Blumen erfüllt werden. Die Strahlen meiner Auferstehung sollen auch euch zugute kommen und euch erwärmen und froh machen!«
Danach wandte Jesus sich den Menschen zu: »Friede sei auch mit euch! Ich habe die Bande des Todes zerrissen, um auch zu euch zu kommen. Euer Glaube und eure Treue, eure Tränen und eure Gebete sind ganz besonders kostbar. Eines Tages werdet auch ihr vom Joch des Leids und aus der Finsternis des Todes befreit. Dann werdet auch ihr euch freuen! Glaubt mir und vertraut darauf, dass mein Wort die Wahrheit ist!«
Die Legende ähnelt der Erzählung des Evangelisten Lukas von den beiden Emmausjüngern. Die waren aus Jerusalem weggegangen, weil sie enttäuscht, verängstigt, ratlos und traurig waren. Sie treffen einen Mann, der mit ihnen geht und von ihrem Kummer erfährt. Erst, als sie zu Tisch sitzen und der Mann das Brot bricht, wie Jesus es erst vor einigen Tagen im Abendmahlssaal getan hatte, da erkannten sie ihn. Dankbar und voller Freude kehrten sie nach Jerusalem zurück.
Die beiden Emmausjünger hatten ihre »Ostererfahrung« gemacht: Sie waren Christus, dem Auferstandenen begegnet. Sie erfuhren, dass er lebt und somit der Tod - allem Anschein zum Trotz - nicht das endgültige »Aus«, das endgültige Ende bedeutet.
Ich frage mich, ob eine solche Begegnung mit dem Auferstandenen, eine solche Ostererfahrung, auch uns heute noch möglich ist, zumindest in einem übertragenen oder abgeschwächten Sinn?
Das Leiden und Sterben Johannes Paul II. hat mir jedenfalls gezeigt, dass Leiden und Sterben zum Leben gehören. Und das hat viele, besonders junge Menschen nachdenklich gemacht. Ich werde die Bilder nicht vergessen können, wie die Menschen dort auf dem Petersplatz standen und sangen und beteten für und mit dem Papst. Das hat gar nichts mit Kult zu tun. Die Menschen erkannten den tiefen Glauben dieses Menschen. Sein Wort an uns »Ich freue mich und ihr sollt es auch« drückt aus, wie sehr ein Mensch sich freut, zu Gott heimgehen zu dürfen. Dort zu sein, wo es kein Leid, keine Krankheit, keine Ängste und keine Traurigkeit gibt. Darum sollen wir uns mitfreuen. Das ist Ostern. Ostern ist aber da, wo Menschen nicht am Leben verzweifeln, wo sie nach Verlusten, Enttäuschungen, Zerbrechen und Scheitern von Lebensplänen wieder aufstehen und das Leben annehmen.
Ostererfahrungen kann man machen, wo man Menschen begegnet, die eine schwere Krankheit durchstehen und sie durch ihren Glauben und ihr Vertrauen auf Christus den Auferstandenen bewältigen und meistern.
Unseren Osterglauben bezeugen wir Christen immer dann, wenn wir Gottesdienst feiern, das Wort Gottes hören und das Opfer Christi feiern, um so aus der Auferstehung des Herrn neue Kraft für unseren Alltag zu schöpfen.
Am Anfang der Emmausgeschichte heißt es: »Jesus kam hinzu und ging mit ihnen. Aber ihre Augen waren gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten«. Wie oft sind unsere Augen »gehalten« und wir erkennen ihn nicht, wenn er mit uns geht. Wir sehen ihn nicht, weil unsere Augen gewissermaßen blind sind für die Zeichen seiner Gegenwart.
Unsere Augen können sich öffnen, wenn wir uns für sein Wort und seine Nähe öffnen, wenn wir uns von ihm ansprechen lassen, wenn wir ihn einladen, mit uns zu gehen, wenn wir mit ihm über unsere Sorgen und Nöte reden, um dann mit ihm »Mahl zu halten«, und anschließend aufzubrechen und auch andere teilnehmen zu lassen an dem, was wir erlebt und erfahren haben.
Wenn wir anderen unseren Glauben bezeugen und weitergeben, dann ist es eine Geschichte mit vielen Fortsetzungen, eine unendliche Geschichte, in der sich stets der letzte Satz des Evangeliums wiederholt: »Sie erzählten, was sie unterwegs erlebt hatten und wie sie erkannten, als er ihnen das Brot brach.«

Artikel vom 16.04.2005