20.04.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Wir Kinder saßen zitternd im Keller«

Vier Wertheraner blicken »60 Jahre danach« auf den Einmarsch der Amerikaner zurück

Von Dunja Henkenjohann
Werther (WB). Den ganzen Vormittag schon hört Otto Vossieck das Dröhnen der amerikanischen Panzer. Gegen Mittag am 2. April 1945, Ostermontag, ist es schließlich soweit: »Sie kommen!«, hört man in allen Ecken der Stadt. »60 Jahre danach« erinnert sich Otto Vossieck für das WESTFALEN-BLATT gemeinsam mit Lore Diekhake, Elisabeth Konietzka und Heinz-Hermann Pohlmann an den Tag, an dem die Amerikaner in Werther einmarschierten.

Noch bevor die amerikanischen Panzer Ostermontag 1945 aus Richtung Halle bei der Gärtnerei Brockmeyer über die Kuppe fahren, kommen ihnen zwei deutsche Soldaten entgegen. »Sie wollten gucken, wie weit die Amerikaner schon waren«, erinnert sich Otto Vossieck, der damals 13 Jahre alt war. »Die beiden sind sofort erschossen worden, und dann ging das Geballere richtig los.«
Lore Diekhake, geborene Figge, erinnert sich noch daran, wie die deutschen Soldaten morgens die restlichen Liter Benzin aus den Fässern der Tankstelle ihrer Eltern (heute Gelände des Busbahnhofs) pumpten. »Um flüchten zu können«, erzählt Lore Diekhake, die vor 60 Jahren gerade einmal zwölf Jahre alt war.
Mit schwerem Geschütz bahnen sich die amerikanischen Soldaten ihren Weg in die Stadt. Panzersperren an der Haller und an der Borgholzhausener Straße sind zwar von Volkssturmleuten besetzt, werden aber mit zunehmendem Heranrücken der Amerikaner verlassen.
»Es wurde aus allen Rohren geschossen«, erinnert sich Heinz-Hermann Pohlmann - damals noch ein kleiner Junge - daran, wie eine Panzerfaust ein Fahrzeug völlig zerstörte. Während sich die Wertheraner in ihre Keller verkriechen und weiße Bettlaken aus den Fenstern hängen, beschießen die Amerikaner die Häuser. Karl Solfrian soll sogar den kleinen Pit Jerrentrup - damals als Baby noch Träger weißer Windeln - als Zeichen des Ergebung - hochgehalten haben.
»Es wurde auf alles geschossen, was sich bewegte«, erzählt Elisabeth Konietzka. Und Pohlmann fügt hinzu: »Alle Fenster waren zersplittert, die Höfe Ermshaus und Kronsbein gingen in Feuer auf.«
Insgesamt sind bei Zwischenfällen sechs Menschen ums Leben gekommen. »Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie vor dem brennenden Haus Kronsbein ein toter deutscher Soldat lag«, berichtet Heinz-Hermann Pohlmann.
»Stundenlang rollten die Panzer durch Werther«, erinnert sich Lore Diekhake an die dröhnende Geräuschkulisse. »Wir haben zitternd im Keller gesessen und uns gefragt: ÝWann hören die endlich auf?Ü«, fügt Elisabeth Konietzka hinzu.
Schließlich macht sich Irmgard Zeruhn vom Deutschen Roten Kreuz gemeinsam mit Pastor Karl Heuer und einem Handkarren auf den Weg, die toten Soldaten einzusammeln und in den Leichenkeller im Krankenhaus zu bringen. Die Toten werden später auf dem Friedhof beigesetzt. Noch heute erinnern Steinkreuze am Eingang an der Borgholzhausener Straße an die Menschen, die am 2. April ihr Leben ließen.
In den Tagen nach dem Einmarsch besetzen die Amerikaner die deutschen Häuser - so beispielsweise die der Familien Margenau und Kuhlmann oder die Villa Potthoff. »Die Bewohner mussten sehen, wo sie bleiben«, weiß Lore Diekhake. Auch Elisabeth Konietzka kann sich noch an den Tag erinnern, als die Amerikaner plötzlich den Elektroherd ihrer Familie abholten: »Der wurde einfach zu Louis Schäperkötter gebracht«, erzählt sie.
Dennoch sei in den nachfolgenden Wochen das Verhältnis zu den Amerikanern recht gut gewesen«, berichtet Lore Diekhake. »Auch wenn zunächst absolute Ausgangssperre herrschte - später haben sie sogar Kaugummis und Schokolade an uns Kinder verteilt«, erinnert sie sich.

Artikel vom 20.04.2005