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»Seltsam, ich hatte keine Angst«

Wilfried Brinkmann erinnert sich

Von Laura-Lena Förster
Steinhagen-Amshausen (WB). Der Krieg näherte sich seinem Ende, als Wilfried Brinkmann bei der Luftwaffe anheuerte. 16 Jahre war er, also absolut einsatzfähig. Gemeinsam mit zwei anderen Jungs aus Amshausen wurde er in die Flugschule nach Oerlinghausen einberufen. Und obwohl die Alliierten Anfang 1945 schon vor der Tür standen, lernte er dort tatsächlich noch fliegen, wie er sich 60 Jahre danach erinnert.

Warum er sich zu diesem Zeitpunkt überhaupt als Kriegsfreiwilliger meldete, kann Wilfried Brinkmann genau erklären. »Ich wusste, dass ich ohnehin eingezogen werde. Da habe ich mich doch lieber von selbst gemeldet, um zumindest Einfluss auf meine Station nehmen zu können.«
Also Oerlinghausen. Wenn die Royal Air Force nicht gerade ihre Runden drehte, standen Flugstunden auf dem Programm. Bis zu jener Nacht Ende März. Mit der Nachricht »die Amerikaner kommen« wurden die jungen Soldaten geweckt und zu einem Erdeinsatz abkommandiert. »Wir waren dafür überhaupt nicht ausgebildet«, erzählt der Amshausener. »Aber wir hatten komischer Weise überhaupt keine Angst.«
Dabei wurde geschossen. Und auch getroffen. Zwei Tote verzeichneten die Flugschüler in den eigenen Reihen, nachdem die Panzer sie ins Visier genommen hatten. Acht Stunden später, mittlerweile war der 1. April angebrochen, dann der Befehl, sich nach Vlotho zurückzuziehen. »Wir hatten unseren Fußmarsch gerade begonnen, da kam ein alter Herr mit seinem Lastwagen mit Holzvergaser des Weges«, erinnert sich Wilfried Brinkmann. »Er fragte uns, ob wir nicht mitfahren wollten.«
Das Angebot ließen sich die Soldaten nicht zwei Mal machen. In Vlotho sollten sie allerdings nie eintreffen, denn der alte Mann brachte sie nach Herford. Mit Absicht. »Glücklicherweise hatte ich dort einen Onkel und einen Cousin in meinem Alter«, ist der 76-Jährige noch heute dankbar. Rasch schlüpfte er in Zivilkleidung und machte sich am Morgen des 3. Aprils zu Fuß auf in die Heimat.
Auf dem Weg von Herford nach Steinhagen kam es zu keinen Zwischenfällen. Kurz vor dem Ziel geriet der junge Soldat aber in eine Panzersperre der SS. Er hatte schreckliche Angst, schließlich war er gerade erst abgehauen.
Doch es erkannte ihn niemand. Die SS schöpfte keinen Verdacht, und mit den Amerikanern hatte Wilfried Brinkmann es auch nur noch einmal zu tun. Dann, als sie auch in Steinhagen eintrafen. »Es kam zu einem Feuerwechsel mit einem Toten auf unserer Seite«, erinnert er sich. »Wir haben allerdings schnell eingesehen, dass wir keine Chance hatten. Die Gegenseite war einfach zu übermächtig.« Allein die Menge an Material beeindruckte die jungen Soldaten. Die komplette Waldbadstraße nutzen die Amerikaner, um ihre Munition zu stapeln.
Nach und nach nahmen sie die Gemeinde unter Kontrolle. Was auch bedeutete: Die Brennereien wurden geplündert. Allerdings von deutscher und von russischer Seite. »Die ehemaligen Zwangsarbeiter aus Künsebeck wurden aufmüpfig und zogen plündernd durchs Land.«
Nach einem halben bis dreiviertel Jahr kehrte in Steinhagen wieder so etwas wie Ruhe ein. Die Briten übernahmen das Kommando, die Lebensmittel wurden über Marken verteilt und Flüchtlinge aufgenommen. »Auch nach dem Krieg war die Situation nicht einfach«, sagt Brinkmann. »Aber eine derartige Kameradschaft habe ich nie wieder erlebt.«

Artikel vom 13.04.2005