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Facettenreich
und ergreifend

Musical »Cabaret« im Stadttheater

Herford (ram). Liebe, Leidenschaft, Vergnügungssucht auf der einen und zackiger Militärschritt und dunkle Schatten des aufkeimenden Nationalsozialismus auf der anderen Seite. In diesem Spannungsfeld bewegt sich das legendäre Musical »Cabaret«. Und so wechselhaft wie die Stimmungen, die das Stück vermittelt, waren auch die Reaktionen im Publikum am Samstagabend, als das Ensemble des Landestheaters Detmold zu Gast im Stadttheater war.

Auf den Lacher folgte die stumme Beklemmung. Das ist es, was neben den unvergesslichen Liedern dafür sorgte, dass das Musical von Joe Masteroff, Fred Ebb und John Kander Weltruhm erlangte.
Überzeugend gelang den Darstellern in der Inszenierung des Detmolder Intendanten Ulf Reiher dieser Übergang von der amüsierträchtigen Spaßgesellschaft hin zu den düsteren Vorboten des Dritten Reiches.
Zu Beginn zeigt das Stück eine nach Vergnügen lechzende Gesellschaft. Berlin in den 20er Jahren. Männer und Frauen tanzen in Strapsen vor der plüschigen Kulisse im Kit-Kat-Club. Hier trifft das lebensfrohe, naive Showgirl Sally auf den erfolglosen amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw. Die beiden verlieben sich ineinander, ziehen in ein kleines Zimmer bei Fräulein Schneider. Die alleinstehende, biedere Pensionswirtin geht ihrerseits eine Liebesbeziehung zu dem jüdischen Obsthändler Herrn Schulz ein. Doch das Glück der Paare währt nur kurz.
Ernst Ludwig, den Clifford während einer Zugreise kennen gelernt hat und der ihm die Pension bei Fräulein Schneider empfohlen hat, entpuppt sich auf der Verlobungsfeier von Herrn Schulz und Fräulein Schneider als leidenschaftlicher Anhänger des Nationalsozialismus.
Ein Wendepunkt in der Geschichte, wie auch Fräulein Schneider feststellen muss: »Ich habe gesehen, dass ich den Nationalsozialismus nicht mehr ignorieren kann.« Sie löst die Verbindung mit dem jüdischen Obsthändler Schulz.
Auch Clifford trennt sich von seiner Sally. Während der sensible Schriftsteller die Flucht vor den braunen Uniformen der Nationalsozialisten antritt und zurück in die USA reist (»Berlin kotzt auf die Straße«), ignoriert Sally die Endzeitstimmung in ihrem Umfeld und bleibt. Die Wandlung der Geschichte wird glänzend durch den Conférencier (Manfred Ohnoutka) verkörpert. Zu Beginn des Abends begrüßt er das Publikum noch schillernd-frivol »Willkommen, bienvenue, welcome«, um zum Schluss die Theaterbesucher mit einem zackigen »Gute Nacht« zu verabschieden. Dabei wird aus den aufgeklebten Augenwimpern kurzerhand ein schmaler Oberlippenbart...
Interessant und aufwändig gestaltet war das Bühnenbild. Beklemmend das Bild der in brauner Uniform auf Metallgerüsten thronenden Nationalsozialisten. Als Vorankündigung für das drohende Unheil tauchen hinter ihnen Totenkopfmasken auf. Musikalisch untermalt wird der Stimmungsumschwung in der Verlobungsszene, als die heiteren Klänge immer leiser werden und schließlich ganz verstummen. Einen kurzen Augenblick herrschte absolute Stille.
Darsteller und Orchester boten eine erstklassige Darbietung die vom Publikum mit langanhaltendem Applaus belohnt wurde. So mancher Besucher ging mit einem »Life ist a Cabaret« auf den Lippen nach Hause.

Artikel vom 11.04.2005