11.04.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Dichtung,
Schmähung,
Postpakete

Comedy-Festival bleibt bestehen

Von Marvin Klostermeier
Rheda-Wiedenbrück (WB). Noch wenige Tage vor Veranstaltungsbeginn stand hinter den Zukunftsplänen für das alljährliche Comedy-Festival des Jugendkulturrings ein großes Fragezeichen. Trotz der hohen Qualität der eigenen »Flaggschiffveranstaltung« bereitete die Publikumsakzeptanz einige Sorge, nachdem das Festival 2004 in das VW-Autohaus Thiel verlegt worden war.

Ein bedenklich schleppender Kartenabsatz kam am letzten Tag noch in Schwung: »Ausverkauftes Haus«, konstatierte JKR-Geschäftsführer Christian Thegelkamp erleichtert. »Damit ist die Zukunft des Festivals gesichert.«
Auf der Bühne ging es dann zum Auftakt hoch her. Wolfgang Nitschke war gekommen, in der Welt der Bestsellerliteratur zu brandschatzen. Im Groben strukturierten zwei Zutaten die Besprechungen: eine scharfsichtige Analyse des Dahergeschriebenen und eine nicht geringe Menge aus tiefster Seele geschöpfter Beleidigungsattacken. Motto: Wer so schreibt, bedarf der Züchtigung.
Jürgen Fliege zum Beispiel, »der Schmierlappen Gottes«, dessen biographische Ergüsse auffällige Triebhaftigkeit entfalten. Mit den Worten des Künstlers: »Sein Gemächt pocht ihm zwischen die pseudoreligiösen Gedanken«.
Angela Merkels melodramatisch betiteltes Buch »Mein Weg« richtet er mit einer einzigen Waffe, dem Zitat: »Vor lauter Globalisierung sollten wir nicht die schönen Dinge des Lebens, wie Kartoffeln und Eintopf vergessen.« Seine besten Pointen braucht Nitschke sich nicht auszudenken, sondern nur einzusammeln.
An Startposition zwei: der ewige Postbeamte Hans-Hermann Thielke, dem die »Laufbahn im mittleren technischen Postdienst« höchste Herausforderung und Lebensinhalt ist. Die Kunst Thielkes war es, eine an sich fade Geschichte mit größtmöglicher Umständlichkeit ins kurzweilig Absurde zu verdrehen. Die Versendung eines 800-Gramm-Päckchens - ein Abenteuer; die »Abdrift« der verschobenen Einlegesohle - Märtyrerschicksal. Thielke spielte den Über-Beamten perfekt bis ins verquaste Sprachverständnis: »Mit der Verpflegung hatten wir Glück, denn es befand sich eine Kantine unter uns.«
Das Finale bestritt Rainald Grebe, Prix-Pantheon-Preisträger 2003 und ein mit äußerst kreativen Gedanken gesegneter Komödiant. Improvisationstalent sowie ein erfreulicher Hang zu Dichtkunst und Zusammenhanglosigkeit markierten den unsinnige Höhepunkt des Abends: Eine musikalische Betrachtung über Björn Borg und Dagmar Berghoff, wahr gemachte Drohungen wie »Ich singe jetzt ein Schlaflied über Magersucht« und meisterhafte Sprachspielereien in bester Heinz-Erhard-Tradition (»Wenn Ägypten nicht mehr wär, läg Kenia gleich am Mittelmeer«).
Die Programmeröffnung bestritt Grebe vom hauseigenen Klo, der hauseigenen Automarke begegnete er skeptisch: Seitdem ihm sein VW auf der Straße verreckt sei, fahre er ja nur noch BMW. Comedy im Autohaus ist eben ein schwer kalkulierbares Wagnis - nicht nur für die Veranstalter, manchmal auch für den Gastgeber.

Artikel vom 11.04.2005