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Milcherzeuger auf
der »roten Liste«

Bauern des Lübbecker Landes empört

Lübbecke (wlv). Die Milch macht's - aber wie lange noch? In Ostwestfalen und im Mühlenkreis stehen die Milcherzeuger ganz oben auf der »roten Liste der gefährdeten Bauernarten«. Seit 1986 haben in Ostwestfalen 75 Prozent der Milchviehbetriebe das Handtuch geworfen.

»Es wird künftig Regionen geben, die sind milchfreie Zonen«, unterstreicht Cord Lilie, Vorsitzender des Milchausschusses des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Minden-Lübbecke. Der derzeitige Milchpreis sei ruinös, er entspreche dem Niveau des Jahres 1977. Für die Bauern lohne sich die Arbeit bei einem Erzeugerpreis von etwa 27 Cent pro Liter Milch nicht. Seit 2001 (32,40 Cent/Liter) sei der Milchpreis kontinuierlich gesunken. »Eine weitere Talfahrt können die Landwirte in Ostwestfalen und auch im Mühlenkreis nicht verkraften«, erklärt der Kreisverbandsvorsitzende Karl-Heinz Becker (Offelten).
Der 36-jährige Landwirt Cord Lilie sieht nicht umsonst die Zukunft der »weißen Branche« eher schwarz. Er bewirtschaftet einen Milchviehbetrieb in Stemwede-Haldem und kennt sich aus bei Milchpreisen, Molkereistrukturen und Mengenbeschränkungen. Bei einem Preis von unter 30 Cent je Liter Milch schreibe ein Betrieb nach Kalkulation des Milchsprechers rote Zahlen. Die beiden Landwirte Lilie und Becker fordern deshalb: Bei den momentan stattfindenden Preisverhandlungen der Molkereien mit dem Lebensmitteleinzelhandel über Milch und Milchprodukte müssten die Molkereien Stärke und Einigkeit beweisen. »Was jetzt an Lieferkonditionen vereinbart wird, bestimmt den Milchpreis der kommenden Monate«, so Becker. Gerade hätten einige Discounter die Verkaufspreise für Milchprodukte gesenkt, was ein alarmierendes Signal sei. So hatte z. B. die Supermarktkette »real« vor einer Woche den Liter Vollmilch zum Endverbraucherpreis von 33 Cent angeboten: »Das ist ein Skandal!« Becker kündigte an, dass die Landwirte die Preisverhandlungen genau beobachteten: »Unsere Molkereien dürfen nicht einknicken.« Auch die Molkereien durchlaufen eine gnadenlose Markt-Bereinigung. Wenn der EU-weite brutale Preiskampf nicht noch mehr Bauernopfer fordern soll, müssen nach Ansicht von Becker und Lilie die einzelbetrieblichen Saldierungsmöglichkeiten auf Molkereiebene begrenzt werden. Darüber hinaus dürfe ebenso die von der EU ab 2006 beschlossene EU-weite Erhöhung der Milchquote um insgesamt 1,5 Prozent und die damit zwangsläufig verbundene Produktionsausweitung nicht realisiert werden. Lilie sieht die Gründe des Preisverfalls für die Milchbauern u.a in dem ungleichen Wettbewerb der sechs bis acht Lebensmittelhändler auf der einen Seite und der rund 120 Molkereien auf der anderen Seite sowie in ungenutzten Exportchancen. Nach seiner Einschätzung trifft der Preisverfall die heimische Landwirtschaft ins Mark, ist die Milcherzeugung doch mit 9 Milliarden Euro Produktionswert der bedeutendste Einkommenszweig in Deutschland.

Artikel vom 09.04.2005