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Von Michael Robrecht

Diese
Woche

Erinnern ist notwendig


Zugegeben, in den vergangenen Wochen konnte man es manchmal fast nicht mehr hören. Politiker, Printmedien, Guido Knopp im ZDF, Kinofilme, Sondermagazine und neue Bücher hatten nur ein Thema: das Ende des Zweiten Weltkrieges. »Wir erleben in diesen Tagen einen medialen Overkill in Sachen Kriegsende. Das übersteigt das Gedenken zum 50-Jährigen 1995 um ein Vielfaches«, schrieb sich ein Kommentator seine Empfindungen über die geballte Ladung Krieg von der Seele. Diese sicherlich nicht bitterböse gemeinte Provokation fordert zur Gegenthese heraus: Die Erinnerung an Adolf Hitlers Ende 1945 und an die Besetzung der Heimat vor genau 60 Jahren ist nötig - mehr denn je!
1945 - lang ist es her. Und doch: Der Zusammenbruch ist vielen Menschen im Kreis Höxter noch sehr präsent. Emotionen werden wach, Unverarbeitetes kommt hoch. Das bemerkenswert große Interesse an den WB-Veröffentlichungen über den Einmarsch der Amerikaner Anfang April '45 in die Region zwischen Egge und Weser, die Gedenkstunden in den Ortschaften, Gottesdienste, gut besuchte Gesprächsrunden mit Zeitzeugen wie diese Woche in Bad Driburg sowie die Diskussion über die Grauen des Weltkrieges im Schulunterricht oder daheim mit der Großmutter am Küchentisch machen deutlich, dass die Zäsur 1945 wie keine andere unser historisches Bewusstsein noch immer bestimmt. Für manchen alten Zeitgenossen ist es, als ob der Krieg gestern gewesen wäre. Andere würden die Erinnerung aber auch gerne ganz weit beiseite schieben und endlich darüber schweigen.
Viele Jugendliche wollen heute mehr wissen vom Warum und Wie. Sie haben ein Recht darauf, etwas von der Stunde Null zu erfahren - auch nach 60 Jahren. Ein weiser Berliner sagte im November 1938 - als die Synagogen brannten - einen packenden Satz: »Dieses Feuer kehrt zurück!« Und genau so ist es gekommen. In diesen Wochen haben wir sie wieder vor Augen, die Flüchtlinge, die mit wenig Hab und Gut aus den zerbombten Ruhrgebietsstädten in den Kreis Höxter kamen, die armen Ostflüchtlinge, die ausgemergelten Gesichter der Soldaten und die ausgebrannten Häuser in Brakel, Höxter oder - zahlreicher als anderswo im Kreis - in der Warburger Börde. Alles vergessen? Zum Glück nicht.
Der 8. Mai 1945 ist ein wichtiges Datum. Es steht für die Befreiung vom Nazi-Terror, aber auch für totale Niederlage und Perspektivlosigkeit vieler Deutscher. In diesem Zusammenhang sollten wir nie vergessen wie alles begann: auch in Brakel, Höxter und Beverungen. In der logischen Kette kommt erst die Ursache, dann die Wirkung. Wir wissen, dass wer ein Ende mit Schrecken verhindern will sich der Anfänge wehren muss. Das ist die wirkliche Lehre von 1945.
Wir müssen also weiter mahnen, wir sollen uns erinnern, an das, was damals war, damit es nie wieder so kommt. Zeitungen und TV-Filme sind für den Tag gemacht. Doch ihre Botschaft bleibt hoffentlich in vielen Köpfen: Nie wieder Krieg! Wer heute noch Gelegenheit hat mit Menschen zu reden, die jene Tage 1945 und davor miterlebt haben, der sollte reden, fragen, zuhören. »Oral History« nennt man das auf Neudeutsch. Es gibt noch viele rüstige Zeitzeugen, die die Grauen des Krieges selbst erlebt haben und die eindrucksvoll davon erzählen können. Solche Gespräche sind immer wieder wertvoller als jeder Film und jedes noch so gut geschriebene Buch.

Artikel vom 09.04.2005