08.04.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ein plattdeutscher Ausflug
in die Verler Geschichte

Rudolf Wittkemper erinnert an besondere Ereignisse


Verl (mst). Die 20- und 30er Jahre sind vielen älteren Verler Bürgern noch sehr präsent. Und so hatte sich das Heimathaus für den Plattdeutschen Abend unter dem Titel »Verl in der Retrospektive« auch gut gefüllt. Der bekannte Verler Geschäftsmann Rudolf Wittkemper referierte auf Einladung des Heimatvereins aus seinem umfangreichen Archiv. Und das natürlich in unverfälschtem Verler Platt.
Rudolf Wittkemper wuchs wie auch sein Vater bei Bäckermeister Kampwirth auf, da sein Großvater in Varensell früh gestorben war. Der Referent ging in Verl zur Schule, war an der Seite von Dechant Häner Ministrant und erlebte dort auch die nationalsozialistische Zeit. Nichts ließ Rudolf Wittkemper aus in seiner Erinnerung an die für Verl entscheidenden Ereignisse. So nahm er etwa die Inbetriebnahme der Teutoburger Waldeisenbahn am Weißen Sonntag 1903 in den Blick. Sein Vater war einer der ersten Passagiere und erlebte auf der Fahrt von Verl nach Varensell mit, wie sich die Zugtüren nicht öffnen ließen.
Weiterhin erzählte Wittkemper, dass ihn die Hebamme Ortjohann auf die Welt geholt habe. Dr. med. Roswitha Abel interessierte das sehr. Denn sie arbeitet mit ihrem Mann Dr. med. Klaus Abel an einem Buch, das Aufschluss über die Entwicklung der ärztlichen Versorgung in Verl geben soll.
Rudolf Wittkemper erinnerte auch an den Alltag im Dorf. Vor dem Krieg kostete ein Fünf-Pfund-Graubrot 80 Pfennig, drei Brötchen einen Groschen. Die wenigen Häuser und deren Besitzer, die vor dem Krieg zu den Bewohnern des Orts zählten, konnte er namentlich aufzählen. Trotz der großen Weltwirtschaftskrise habe es vor dem Ausbruch des Krieges einen regelrechten Bauboom gegeben. An eine Kanalisierung jedoch war noch lange nicht zu denken. »Von höchster Stelle wurde kontrolliert, ob die Gräben regelmäßig ausgeworfen wurden, damit die Abwässer fließen konnten.« Auf goldenem Boden habe das Handwerk geruht. Wittkemper verwies auf sieben »Schneiders und Neisches« (Schneider und Näherinnen), die allein im Ortsinneren ihr Auskommen hatten. »En Anzug was domols fo 60 Reichsmark to kreigen« (ein Anzug war damals für 60 Reichsmark zu haben).
Lebhafte Diskussionen lösten auch Wittkempers Erinnerungen an Feste und Kirmestage aus, die er mit einigen alten Fotos veranschaulichte. Keine Sekunde war Langeweile aufgekommen und alle waren sich am Schluss einig: Solch ein Plattdeutscher Abend soll bald wieder stattfinden.

Artikel vom 08.04.2005