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»Wo will ich da eine Grenze ziehen?«

Leiter der Elbracht- und der Lisa-Tetzner-Schule zum Umgang mit religiösen Vorbehalten

Von Monika Schönfeld
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Eltern zweier Schüler an der Elbrachtschule in Sende müssen jetzt jeweils sechs Tage in Erzwingungshaft, weil sie sich weigern, ein Bußgeld zu bezahlen. Das hat der Kreis Gütersloh wegen Verletzung der Schulpflicht verhängt. Die Eltern hatten ihre Kinder (2. und 4. Schuljahr) im Januar 2004 nicht an der Fahrt zum Landestheater Detmold teilnehmen lassen, wo das Weihnachtsmärchen »Urmel aus dem Eis« gezeigt wurde.

Der Leiter der Elbrachtschule, Detlef Plöger, betont, dass dies ein Einzelfall sei. Mit anderen Eltern, die der Baptistengemeinde angehören, arrangiere er sich. So haben einige von ihnen Bedenken gegen Klassenfahrten. Hier verzichte die Schule darauf, dass die Kinder übernachten. Die Eltern bringen die Kinder für den Tag und holen sie abends ab.
Den schriftlichen Antrag dieser Eltern, die ihre Kinder nicht an der Theaterfahrt der ganzen Schule zum Landestheater Detmold teilnehmen ließen, habe er abgelehnt. »Urmel aus dem Eis« sei absolut kindgerecht und ohne die Verletzung religiöser Gefühle inszeniert gewesen. In Gesprächen mit den Eltern habe er erfahren, dass die Baptistengemeinde an der Heideblümchenstraße einen Beschluss gefasst habe, ihren Kindern generell nicht die Teilnahme an Theaterfahrten zu gestatten. Auf Anfrage des WESTFALEN-BLATTes wollte Gemeindeältester Johann Braun dazu nicht Stellung nehmen. »Ich möchte darüber nicht in der Öffentlichkeit sprechen. Ich finde es nicht gut, wie dieses Thema in der Öffentlichkeit dargestellt wird.«
»Ich lehne nicht generell alles ab«, betont Plöger. So habe er einem Antrag stattgegeben, einen Schüler von der Karnevalsfeier der Schule zu befreien. Nicht nur der Besuch von Theatervorstellungen, auch selbst Theater spielen an der Schule, werde von einigen Eltern abgelehnt. Theater werde als »Werk des Teufels« dargestellt und dem »Theater der Zeit Neros« gleichgesetzt. Plöger macht aus diesem Grund an seiner Schule kein Theater. Bei der Einschulung gibt es Rollenspiele. »Ich werde mich nicht an Kleinigkeiten aufreiben«, sagt Plöger, »wenn das Malen von Mandalas als esoterisch oder spiritistisch abgelehnt wird, bekommen die betroffenen Kinder eine andere Aufgabe.« Das Problem, vor dem Schulleiter und Lehrer ständig stehen: »Wo will ich da eine Grenze ziehen?«
Der Schulleiter meint, die betroffenen Kinder stehen in einer Zwickmühle. Sie würden von Eltern und der Kirchengemeinde unter Druck gesetzt, würden aber gern mit den anderen Kindern mitmachen.
Das Problem setzt sich an der Hauptschule fort. Heinz Hildmann berichtet, dass er Verstöße gegen die Schulpflicht bisher streng nach Gesetz an die Schulaufsicht weitergegeben habe und dafür die volle Rückendeckung hatte. »Der Gesetzgeber hat leider einen Rückzieher gemacht und den Erlass geändert, der die Wanderrichtlinien regelt. Nach persönlichem Gespräch und zweifacher schriftlicher Begründung können Eltern ihren Kindern aus religiösen Gründen die Teilname an einer Klassenfahrt untersagen. Die Kinder müssen dann in einer anderen Klasse am Unterricht teilnehmen.« Das widerspreche dem Ziel, mit Klassenfahrten den sozialen Zusammenhalt der Schüler zu fördern. »Den Eltern wird es zu leicht gemacht«, kritisiert Hildmann die Änderung des Erlasses.
Hildmann betont, dass er mit Eltern, die den Evangeliums-Christen an der Mergelheide angehören, überhaupt keine Probleme habe. Anders sei dies bei denen aus der Baptistengemeinde an der Heideblümchenstraße. »Mit denen ist keine Zusammenarbeit möglich.« Ärger gebe es vor allem bei Theaterveranstaltungen. Märchen, die frei erfunden und damit nicht wahrheitsgetreu seien, würden als »Werke des Teufels« bezeichnet - ohne ihren pädagogischen Charakter in Erwägung zu ziehen. Auch Musik, Sexualkunde und Kunst seien kritische Fächer, selbst Phantasiereisen und Beruhigungsübungen seien Teufelswerk. Für Hildmann »unerfreulich« und »nervenaufreibend«. Allerdings ist er froh, zur Zeit keine Schüler zu haben, deren Eltern den Schulbesuch generell verweigerten. Berichte: Politik und NRW

Artikel vom 08.04.2005