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Geheimes Zigarettenlager entdeckt

Kriegsende 1945: US-Einheiten »eroberten« die Emmerstadt gleich zwei Mal

Von Harald Iding
Steinheim (WB). Beinahe wäre dem Gärtnermeister Franz Hörning vor 60 Jahren seine Arbeit für das Deutsche Rote Kreuz zum Verhängnis geworden. Denn die offizielle DRK-Uniform hielten die US-Soldaten beim Einmarsch am 5. April 1945 zunächst für eine militärische Bekleidung Ê-Êund nahmen ihn deshalb erstmal mit.

Dass der damals 57-jährige Rotkreuzler Hörning sofort nach Nieheim zum dortigen Alliierten- Lager kam, wo am nächsten Tag hohe US-Offiziere den Irrtum gleich bemerkten und ihn umgehend entließen -Êdavon haben nur wenige in Steinheim Kenntnis. Anders war es jedoch bei der Fahrt Hörnings mit den US-Soldaten durch die Emmerstadt.
Als Zehnjähriger verfolgte damals Johannes Waldhoff (der heutige Stadtheimatpfleger von Steinheim) die für ihn als junger Bursche spannenden Geschehnisse mit größtem Interesse: »Als die Amerikaner kamen, gingen wir auf die Straße. Dass unten in der Gartenstraße ein schussbereiter Panzer stand, störte dabei niemanden. Dann kam ein Jeep langsam angefahren, auf dessen Kühlerhaube der Gärtnermeister Franz Hörning in DRK- Uniform saß. Ich werde dieses Bild nie vergessen. Er rief uns allen zu ÝGeht in die Keller, der Kampf ist noch nicht vorbei!Ü Aber niemand hörte auf ihn, so groß war die Erleichterung, dass der Krieg ein Ende gefunden hatte«. Dabei war bei der für Steinheim wichtigen Task Force »Ritchie« am 5. April zunächst alles schief gelaufen. Denn in Leopoldstal gab es erheblichen Widerstand. Das 3. Bataillon musste diesen Ort erst freikämpfen. Dadurch kam es im Raum Horn zu umfangreichen Stauungen. »Ritchies Panzer erreichten ihre Ausgangsstellung deshalb erst mit stundenlanger Verspätung«, hat Waldhoff die Ereignisse jener Tage für die Nachwelt im Detail schriftlich festgehalten.
So stieß die Task Force »Ritchie« vor, um mit drei Angriffsspitzen von Billerbeck, Belle und Wöbbel aus die Emmerstadt anzugreifen. Kurz nach 13.30 Uhr machten die Panzerspitzen vor Steinheim Halt, die Artillerie ging in Stellung und begann mit der Beschießung. »Sie warteten auf die weißen Fahnen, waren aber bereit, die Stadt in ein Trümmerfeld zu verwandeln!«
Die »Gegenwehr« bestand jedoch nur aus zwei »Königstigern« (deutsche Panzer-Kampfwagen), die fast ohne Treibstoff und Munition waren. Sie gaben beim Sichten der ersten amerikanischen Panzer zwei Schuss ab und setzten sich dann durch die Stadt nach Osten hin ab. Westlich der Eisenbahn hingen aus den Häusern bereits weiße Fahnen.
Johannes Waldhoff: »Aber erst, als die erste Fahne am Turm der Pfarrkirche wehte, war der Bann gebrochen. Der Artilleriebeschuss hörte schlagartig auf, im Schutz der Panzer und unter starkem Maschinengewehr-Feuer drangen die Truppen in die Stadt ein. Von der Pyrmonter Straße her kommend stellte sich in jede Straßeneinfahrt dieses Stadtbereichs ein schussbereiter Panzer der US-Soldaten, dem dann die Infanterie folgte.« Nach kurzer Zeit seien Ritchies Truppen wieder abgezogen, um befehlsmäßig zur Weser vorzustoßen. Eine andere Einheit, die Task Force »Biddle«, hatte inzwischen von Süden her Nieheim besetzt, war nicht aber nicht gleich nach Steinheim, sondern erst nach Osten hin über Bredenborn und Vörden nach Kollerbeck vorgestoßen. So war Steinheim nach der ersten Eroberung des nördlichen Stadtgebietes noch einmal für kurze Zeit »Niemandsland«.
Bis die zweite Einheit vom Süden aus die Emmerstadt besetzte. »Deshalb ist Steinheim am 5. April 1945, wenn man es ganz genau nimmt, gleich zwei Mal erobert worden«, betonte Heimatfreund Waldhoff jetzt im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT.
Mit dem Kriegsende erfuhren die Steinheimer auch von einem bis dato streng geheimen Zigarettenlager der deutschen Streitkräfte. Eines der großen Möbelfabrikgebäude (Strato) war an die Kriegsmarine-Verwaltung von Wilhelmshaven verpachtet worden, die darin ein geheimes Materiallager eingerichtet hatte. »Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich aus der Fabrik schnell noch einen Karton mit einigen tausend Zigaretten heimlich mit nach Hause nahm«, so Waldhoff.

Artikel vom 08.04.2005