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Glanzstück der Avantgarde

»Wadada's Golden Quartet« brilliert beim »Jazz in Gütersloh«

Gütersloh (WB). In einer Zeit, wo die großen Stars der Jazz-Szene zunehmend die gut dotierten Bühnen der großen Konzerthäuser den kleinen Jazz-Clubs vorziehen, scheint für den schrulligen Avantgarde-Jazz kein Platz mehr zu sein. Aber es gibt sie noch, die Experimental-Musiker, ebenso wie die gemütlichen Jazz-Kaschemmen, und am Sonntag fanden sie in Gütersloh zusammen: »WadadaÕs Golden Quartet« war im ehemaligen Jugendzentrum zu Gast.

Dort zeigte der Bandleader Ishmael Wadada Leo Smith seinem Publikum, was der Jazz-Welt verloren geht, wenn sie sich nur noch auf den massenkompatiblen, aber manchmal leider allzu geschniegelten Main-Stream konzentriert: In diesem Falle hoch komplexe Free-Jazz-Arrangements, die Smith im Stile eines Dirigenten per Handzeichen bis in die kleinsten Nuancen ausreizte, um sie gleichzeitig mit scharfen, elektronisch verstärkten Trompetensalven zu durchlöchern.
Um dieses Vorhaben auch live ohne Verluste umsetzen zu können, hatte »Wadada« (»Jazz in Gütersloh«-Organisataor Josef Honcia: »Der Name hat mich schon immer fasziniertÉ«) drei erstklassige Musiker um Unterstützung gebeten: Den Kontrabassisten John Lindberg, vielseitig, sensibel, mit guter Bogentechnik und einem großen Improvisationstalent ausgestattet, den jungen Klavier-Virtuosen Vijay Iyer sowie den mittlerweile 65-jährigen Schlagzeug-Haudegen Ronald Shannon Jackson, der es - Alter hin oder her - am Sonntagabend mal wieder so richtig krachen ließ.
Dafür hatte er sich aus zwei Drum-Kits ein gigantisches Instrument zimmern lassen, das in Kombination mit den dissonanten Klavier-Läufen Vijay Iyers gespielt, einem mittelschweren Gewitter nicht unähnlich war. John Lindberg sorgte mit seinen Basslinien vor diesem dichten Klangteppich für ein wenig Ordnung und bildete gleichzeitig den Bezugspunkt für die ausgedehnten Trompetensoli von Leo Smith. Zu diesem Zwecke nahm der Bandleader stets eine gebückte Position ein, so dass sich der Schalltrichter meist nur zwei Handbreit über dem Boden befand.
Dem Sound tat die introvertierte Körperhaltung jedoch keinen Abbruch, »Wadada's« spielte mit beeindruckender Kraft und Präzision, ergänzte ab und zu mal übers Fußpedal ein paar Effekte und dirigierte sein Quartett darüber hinaus mit schlafwandlerischer Sicherheit durch den Free-Jazz-Dschungel.
So präsentierte »WadadaÕs Golden Quartet« im ehemaligen Jugendzentrum zwei beeindruckende Sets, die nur ein Fazit zulassen: Wer den Jazz in seiner ganzen Bandbreite erleben will, wird auch in Zukunft um die kleinen Clubs nicht herumkommen. Zum Glück!
Collin Klostermeier

Artikel vom 05.04.2005