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Hellwach und gut aufgeräumt präsentierte sich Hildebrandt im Bünder Universum.

Milieu-Studien vom
Tatort DB-Zugabteil

Dieter Hildebrandt begeisterte im Universum

Von Rainer Grotjohann
Bünde (HK). Hellwach und mit einer gehörigen Portion Bosheit blitzen die Augen hinter dicken Brillengläsern. Der Meister des nicht zu Ende gesprochenen Satzes ist 77 Jahre alt, seinem Scharfsinn und seiner Scharfzüngigkeit hat das Alter nichts anhaben können. Dieter Hildebrandt ist und bleibt der vielleicht gnadenloseste Sezierer menschlicher Dummheit und Borniertheit.


Eine Mammuttour durch Deutschland (160 Lesungen) hat der Wahl-Münchner noch vor und erst zu einem kleinen Teil hinter sich, als er in Bünde auf die Bühne des (seit Monaten ausverkauften) Universums tritt.
»Ausgebucht« ist der Mann, »Ausgebucht« ist der Titel seines Buches, aus dem er lesen wird. Aber »bevor es mich zerreißt«, zerreißt er erst 'mal genüsslich 20 Minuten lang Deutschlands politische Kaste in der Luft. Da erfährt man, wie der Bundespräsidenten-Kandidat des bürgerliches Lagers gefunden worden ist (»Stoiber und Westerwelle mussten das Alphabet aufsagen, bei K hat Merkel »Stopp« gesagt und dann im Telefonbuch nachgeschlagen«), da kommt die Breitseite gegen Schröder, Eichel, Trittin und Co. (»Rotgrün kann nicht mit Geld umgehen, und jetzt ist das Geld auch noch weg«) und kriegt der Außenminister sein Fett weg: »Fischer hat zwei Fehler, zugegeben. Au, hier steht das Komma falsch«.
Seit Jahrzehnten reibt er sich an den Mächtigen, denen er weniger als nichts zutraut, denen er erbarmungslos ihre Sprechblasen und Wortgeschwülste um die Ohren haut. Und dann widmet er sich seinem Buch, eine Sammlung scharf beobachteter Erlebnisse auf seinen Reisen durch Deutschland. Der Altmeister des Kabaretts reist meist per Bahn, zu der er eine Art Hassliebe pflegt. Warum tut er sich das an, die Unpünktlichkeit der Bahn, den Fraß in den Speisewagen, die erzwungene Gemeinschaft mit arroganten Lümmeln, die lautstark in ihre Handys brüllen? Irgendwie muss Hildebrandt diese Art zu reisen faszinieren. Gibt sie ihm doch Gelegenheit zu herrlichen Milieu- und Charakterstudien, sei es am Beispiel des (garantiert erfundenen) Herrn Meusel oder des Handy-Schreihalses, der den Wagon an Gesprächen mit seiner Frau teilhaben lässt (»Gerlinde, ich geh jetzt aufs Klo!«).
Und wenn doch 'mal Ruhe herrscht im Abteil, kann er sich liegen gebliebener Lektüre widmen - oder Gedanken zur Quotenangst von ARD und ZDF machen. »Die Öffentlich-rechtlichen machen sich in jede Hose, die man ihnen hinhält«. Kunstpause. »Die Privaten senden dann den Inhalt«.

Artikel vom 05.04.2005