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Kinder fragten: »Häve you schokolät?«

Im April 1945 kamen die Amerikaner ins »weiße Friedensdorf Ottenhausen«

Von Harald Iding
Ottenhausen (WB). Die Menschen des Bundesgolddorfes Ottenhausen werden sich am kommenden 5. April eines besonderen Ereignisses erinnern. An diesem Datum, Êvor genau sechs Jahrzehnten, Êkam von einem zum anderen Tag der Frieden zu ihnen -Êmit dem Einmarsch der Amerikaner.

Für Elisabeth Stöver, geborene Alke, ist die Erinnerung an jene Zeit noch so frisch, als ob es gestern sei. »Ich war damals 13 Jahre alt und ging direkt hier in Ottenhausen zur Schule«, erzählt sie im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT.
Zwei ihrer Brüder kamen nicht mehr aus dem Krieg zurück -Ê dabei waren die Männer noch so jung, einer 20 Jahre alt und der andere gerade frisch gebackener Abiturient mit 18 Lenzen. »Heribert ruht heute auf der Kriegsgräberstätte Niederbronn in Frankreich, neben drei anderen Kameraden aus Ottenhausen. Insgesamt sind dort 15427 deutsche Soldaten begraben. Wir haben diese Stätte schon einige Mal aufgesucht und Blumen ans Grab gelegt.«
Obwohl Ottenhausen von Kriegshandlungen nicht direkt betroffen war, ging der der Krieg nicht spurlos an dem Dorf vorüber. Elisabeth Stöver: »Die meisten Männer waren an der Front, die Frauen in der Landwirtschaft eingesetzt, wo sie oft über ihre Kräfte hinaus arbeiten mussten. Gelegentlich wurden verwundete und genesende Soldaten ins Dorf geschickt, die an der Front noch nicht wieder einsatzfähig waren. Da stand oft ein Städter im Stall, konnte kaum Pferde und Kühe voneinander unterscheiden -Êund sollte trotzdem den Betrieb leiten. Der damalige Ortsbauernführer Josef Richter schaltete sich dann ein.« Meist blieben diese Aushilfskräfte nur drei Tage auf dem Hof. »Am schlimmsten war es für uns, wenn der so genannte Zellenleiter des Dorfes, Anton Gemmeke, die Todesnachrichten in die Häuser bringen musste.« Wenn Elisabeth Stöver an das Kriegsende zurück denkt, fällt ihr gleich die Situation am 5. April ein. »Nach der großen Pause saßen wir in der zweiklassigen Schule, als der Lehrer Wilhelm Günter zur Tür ging. Dort stand die ehemalige Jugendlehrerin Krekeler und bat den Lehrer, einige Mädchen sollten im Dorf weiße Leinen- sowie sonstige Tücher sammeln, um den in Bad Meinberg liegenden schwer verwundeten Soldaten zu helfen.« So ist dann auch die 13-jährige Elisabeth von Haus zu Haus gegangen, mit weißen Tischtüchern unter dem Arm. »Plötzlich hörten wir aus Richtung Vinsebeck Schüsse. Schon seit Tagen hieß es, die Amerikaner würden bald einrücken. Aber als junges Mädchen hatte ich den Ernst der Lage überhaupt nicht erkannt, als ich in der ÝKesseleckeÜ (der heutigen Kesselstraße) lautes Geschrei hörte.« Es waren nicht US-Soldaten, sondern drei Männer des Dorfes, von denen einer eine Pistole hoch hielt und schrie: »Wir verteidigen unser Dorf, wir Ottenhäuser sind keine Schlafmützen!« Im selben Augenblick, so hat Elisabeth Stöver ihre Eindrücke schriftlich festgehalten, »hat Anton Gemmeke (der Zellenleiter) zugeschlagen -Êund die Waffe fiel auf die Straße.«
Der Ortsbauernführer Richter brachte sie sofort ins Haus und rief dann lauthals: »Weiße Fahnen raus, weiße Fahnen raus - der Amerikaner rückt ein!«
Auch der Gemeindediener Eilert (»Schrauten Onkel«) rannte mit der Dorfschelle umher und forderte zur »weißen Beflaggung« auf. Es habe keine einziges Haus in Ottenhausen gegeben, aus dem nicht ein Bettlaken oder ein weißes Tuch aus einem Fenster oder Dachluke hing. Die Amerikaner -Êdie fuhren damals an Ottenhausen vorbei nach Steinheim (das Dorf war auf keiner Landkarte der Alliierten verzeichnet). »Bei uns fiel kein Schuss, keine Bombe -Ê Ottenhausen war tatsächlich eine Oase der Ruhe«. Es dauerte mehr als eine Woche, als die Kinder in der großen Pause draußen auf dem Schulhof an der Hauptstraße waren -Êund plötzlich aus Richtung Billerbeck der erste amerikanische Jeep ins Dorf fuhr. »Wir blieben wir erstarrt stehen. Aber die Soldaten waren sehr nett.«
Einer erkundigte sich gleich nach der Familie Gemmeke. »Dort wollten sie Grüße von Josef Gemmeke ausrichten, der vor dem Krieg nach Amerika ausgewandert war.« Unter den Kindern hatte sich herumgesprochen, dass die fremden Soldaten Schokolade hätten. Keine konnte jedoch Englisch, bis auf eine, die auf der Schule in Steinheim war. »Häve you schokolät!« übten sie schnell ein. Die Amerikaner lachten und verschenkten die Süßigkeiten.
Der bittere Krieg war vorbei.

Artikel vom 02.04.2005