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Ende März 1945 kam der Krieg nach Warburg

Letztes Aufgebot sollte die Stadt mit allen Mitteln verteidigen - Tote nach Kämpfen im westlichen Stadtkern

Von Ulrich Schlottmann
Warburg (WB). In den letzten Wochen des März 1945 mehrten sich auch im Warburger Land, das vom direkten Kriegsgeschehen bislang weitgehend verschont geblieben war, die Anzeichen für den Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur.

Neben Bomberschwärmen, die Warburg nun auch am hellen Tag überflogen, heulten zu jeder Tageszeit Jagdbomber über die Stadt. Warburg war allerdings nicht selbst Ziel dieser Flugzeuge; den Alliierten ging es vielmehr darum, die deutschen Truppen vom Nachschub abzuschneiden. Das Eisenbahngelände wurde allerdings mehrfach getroffen, und auch in ein Haus am Prozessionsweg schlug eine Bombe ein und tötete zwei Menschen. Über den Bahnstrecken war fast ständig das Knattern der Jagdbomber-Geschütze zu hören.
In Warburg wimmelte es in diesen Tagen von Menschen: Soldaten aller Waffengattungen, Versprengte, Kranke und Verwundete sowie Zivilisten warteten am Eisenbahnknotenpunkt auf eine Möglichkeit zur Weiterfahrt auf den hoffnungslos überlasteten Strecken. Dazwischen bewegten sich Ströme von Fremdarbeitern, die von den Behörden zwangsweise in Richtung Osten in Marsch gesetzt worden waren. An der Kuhlemühle entstand für sie ein Lager, in dem zeitweise 2000 Menschen aller Nationalitäten unter unwürdigen Umständen hausten.
Warburg sollte eigentlich im Mittelpunkt einer Hauptverteidigungslinie im südlichen Hochstift stehen, doch in der zweiten Hälfte des März zeigte sich mehr und mehr, dass dies nur substanzlose Durchhalteparolen waren.
Ein Rittmeister der deutschen Wehrmacht war als Kampfkommandant in die Stadt an der Diemel abkommandiert worden, um den Volkssturm zu organisieren. Warburg sollte bis zum letzten Mann gehalten werden. SS-Bataillone würden zur Verstärkung herangezogen, hieß es. Man erwog sogar ernsthaft, die Diemeltalsperre zu öffnen und das Diemeltal zu fluten, um den Vormarsch der Amerikaner aufzuhalten.
Jeder, der geeignet erschien, wurde zum Volkssturm rekrutiert. Dessen Hauptaufgaben war es, Panzersperren an den Haupteinfallsstraßen nach Warburg zu errichten: an der Ossendorfer Straße, an der Straße nach Germete, an der Menner Straße, an der Abzweigung zum Burggraben, an der Daseburger Straße, an der Kasseler Straße und an der Stadtseite der Diemelbrücke. Die Arbeiten gingen allerdings nur sehr langsam voran. Jämmerlich sah es mit der Bewaffnung aus: italienische, dänische und russische Beutegewehre, für die es nur wenige Schuss Munition gab, und Panzerfäuste, die niemand bedienen konnte.
Während sich Volkssturmmänner, Kriegsgefangene und Fremdarbeiter an den Sperren abmühten, rückte die 3. US-Panzerdivision über Marburg bereits auf Arolsen und Korbach vor. Im Befehlskeller des Volkssturms, der im Rosenmeyerschen Haus Hinter der Mauer Süd untergebracht war, liefen ständig Alarmmeldungen ein, die auch dazu führten, dass man die braunen SA-Uniformen im Stadtbild immer weniger sah.
Der Kampfkommandant hatte die schneidige Parole ausgegeben, die Stadt werde mit allen Mittel verteidigt, »ganz egal, ob das ganze Nest in Klumpen geschossen wird«. Beim Inspizieren der Straßensperren verbreitete er, zwei SS-Bataillone würden Warburg und die Straße nach Norden verteidigen, und ein weiteres Bataillon werde sich im Süden an der Kasseler Straße festsetzen. Die hoch gelegene Warburger Neustadt werde das »zentrale Bollwerk« in der neuen Verteidigungslinie bilden.
Weder beim Volkssturm noch in der Bürgerschaft vermochte der Kampfkommandant damit allerdings die Moral zu heben. Insgeheim hofften die meisten, dass die Amerikaner möglichst schnell und unblutig einrücken würden. Niemand sprach offen zu dem anderen über die absehbare Entwicklung, aber jeder schien zu wissen, wie der andere dachte.
Am Morgen des Karsamstags, des 31. März 1945, erreichte die Spannung ihren Höhepunkt. Im Befehlskeller des Volkssturms liefen die Nachrichten ein, dass die amerikanischen Panzer bereits Wethen und Welda erreicht hätten, Spähpanzer waren bei Wormeln gesehen worden. Die versprochene Verstärkung war natürlich nicht gekommen. Statt dessen hatte sich die braune Parteiführung in letzter Minute abgesetzt.
Und dann kamen die Amerikaner: Die Hauptmacht marschierte am Morgen des Karsamstags über die Kasseler Straße in die Warburger Neustadt ein, ohne dort auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, denn die deutschen Verteidiger hatten erwartet, dass sich die Alliierten von Westen nähern würden. Während sich in der südlichen Neustadt Soldaten und Volkssturmmänner ergaben oder sich absetzten, fielen am Paderborner Tor und vor allem am Rotthof Schüsse, aus denen sich ein regelrechter Häuserkampf entwickelte. Auch der Turm der Neustadtkirche, aus dem die Amerikaner beschossen worden waren, wurde unter Feuer genommen. Am Rotthof wurden mehrere Häuser in Brand geschossen, es gab - wenn auch vergleichsweise wenige - Verletzte und Tote unter Soldaten und Zivilisten. Erst am Nachmittag hatten die Alliierten die Lage unter Kontrolle: Die Warburger Neustadt galt es erobert.
Quellen: »Warburg in jenen Tagen« von Berthold Zünkler, »Augenzeugen berichten: Das Kriegsende im Warburger Land« von Michael Robrecht und Ulrich Schlottmann

Artikel vom 30.03.2005