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»Charakterlich ungeeignet«

Vor sieben Jahren Führerschein weg: Kein Pflegekind für Promillesünder

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WV). Minister kann man trotzdem werden. Auch Lehrer, Finanzbeamter Pfarrer oder Richter. Aber ein Pflegekind erziehen? Dazu ist, wer einmal mit Alkohol am Steuer erwischt wurde, charakterlich ungeeignet. Meint zumindest das Jugendamt der Stadt Paderborn.

Wilhelm Barneetz aus Sennelager hat es am eigenen Leib erfahren. Als seine Ehefrau Brigitte (38) und er ein Heimkind in ihre Familie aufnehmen wollten, holte den 43-Jährigen eine Jahre zurück liegende Promillesünde ein.
Das »Nein« kam schon vergangenes Jahr. »Wir hatten das Thema eigentlich abgehakt«, erzählt Barneetz. Aber dann las er in der Zeitung über den tragischen Tod der kleinen Jennifer. Ihre Eltern ließen sie verhungern. Die Hamburger Behörden blieben trotz verschiedener Hinweise untätig.
»In unserem Fall haben die Behörden nicht versagt«, schrieb Barneetz. »Im Gegenteil.« »Wir besitzen ein Eigenheim (150 Quadratmeter), einen Garten, gehen einer geregelten Arbeit nach, versorgen unsere elfjährige Tochter Janine ordentlich, sie geht auch regelmäßig zur Schule. Unsere Familie ist alkohol- und drogenfrei, und selbst unseren Hund lassen wir nicht hungern.« Dennoch seien geschulte Psychologen des städtischen Jugendamtes zu dem Schluss gekommen: »Familie Barneetz ist ungeeignet, ein Pflegekind aufzunehmen!«
Der Grund: Die Frage nach Vorstrafen hatte Wilhelm Barneetz mit »Ja« beantwortet und angegeben, dass er vor sieben Jahren nach einer Alkoholfahrt für zehn Monate seinen Führerschein abgeben musste. Das passiert jedes Jahr rund 100 000 Deutschen.
»Eine dumme Geschichte«, räumt der Verkaufsleiter ein. Er sei von einer Gruppe randalierender Schläger verfolgt worden, habe sich, obwohl er schon ein paar Bier getrunken hatte, in sein Auto geflüchtet und sei 500 Meter weit zur Polizeiwache gefahren - »schon war der Schein weg«.
»Das ist wirklich mein einziges Vergehen, sonst habe ich mir nichts zu Schulden kommen lassen«, beteuert der Familienvater. Aber der gute Leumund ist dahin. Die Entscheidung für oder gegen eine Pflegefamilie werde im Team getroffen, erläutert Stadtsprecher Willi Lünz das Verfahren. »Es ist aber unwahrscheinlich, dass so etwas allein an einem länger zurück liegenden Führerscheinentzug scheitert.«
Dabei hätte Tochter Janine so gern eine kleine Schwester. »Ich würde mich bestimmt liebevoll um ein Pflegekind kümmern«, versichert Brigitte Barneetz. »Es gibt doch so viele traurige Schicksale, und uns geht es gut.« Über eine Bekannte, die in Haus Widey arbeitet, waren die Barneetz auf die Situation von Heimkindern aufmerksam geworden und hatten im Familienrat beschlossen, sich wenigstens um ein vom Glück benachteiligtes Kind zu kümmern.
Doch die Stadt Paderborn lehnte ab. »Der negative Bescheid hat uns damals alle sehr mitgenommen«, erinnert sich Wilhelm Barneetz. »Aber weil ich ja der allein Schuldige an diesem Drama war, bot das Jugendamt immerhin meiner Frau psychologische Hilfe an.«
Familie Barneetz hat die Hoffnung zwar noch nicht ganz aufgegeben, ihr Glaube an die Gerechtigkeit ist allerdings angeknackst.

Artikel vom 02.04.2005