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Die Ausnahme:
Oscar Wilde
weist den Weg

Michael Kleymann boxt und schreibt

Von Elmar Neumann
(Text und Fotos)
Paderborn (WB). Sieben Buchstaben, ein vernichtendes Urteil: »Schwach« - eine SMS, nur ein einziges Wort, aber für Michael Kleymann mehr als genug. Von seinem Freund Ingo zu einem Schnuppertraining beim Budo-Sport-Club Paderborn eingeladen, hatte Kleymann sich im letzten Moment für die Flucht entschieden, abgesagt. Erst Ingos unmissverständliche Antwort lässt ihn diese Entscheidung überdenken. Der Journalist hält's mit Oscar Wilde und tritt die Flucht nach vorne an: »Man sollte nicht bereuen, was man getan hat, sondern das, was man sich nicht traute.«

20 Monate nach Eingang dieser folgenschweren Kurznachricht bereut Kleymann nichts. Allein im vergangenen Jahr verbrachte er 600 Stunden in seinem neuen sportlichen Zuhause. 120 Minuten tägliches Training, die wöchentlichen Extraschichten in Laufschuhen gar nicht mitgerechnet. Kickboxen ist längst mehr als nur eine andere Art der Körperertüchtigung, Kleymann nennt es »eine schicksalhafte Liebe, die Leiden schafft«. Dabei war keineswegs abzusehen, dass ein Zwischen-Fazit derart positiv ausfallen würde. Schließlich entsprachen weder das Einstiegsalter noch die körperlichen Voraussetzungen denen eines durchschnittlichen Kickbox-Neulings. Michael Kleymann - der etwas andere Debütant. Unter dem Buchtitel »Der Ausnahmeathlet - das authentische Bekenntnis eines Kickboxers zu seiner Leidenschaft« hat der 59-Jährige das Erlebte in einer Folge von Kurzgeschichten zusammengefasst. Von »Ingo der Verbindungsmann« über »Mein Idol Max Schmeling« bis »Leben und Abstinenz«.
Kleymann ist bereits 57 Jahre alt, als er erstmals einen Fuß in den Gym setzt. 15 Jahre zuvor hatte der ehemalige Theodorianer seine Laufbahn als Motorrad-Straßenrennfahrer beendet. Das diesen Sport begleitende Fitnesstraining blieb aus, eine chronische Rheumaerkrankung war die Folge. »In zehn Jahren sitzen Sie im Rollstuhl«, formulierte der behandelnde Arzt eine niederschmetternde Diagnose, die sich glücklicherweise nicht bewahrheiten sollte. Gelenkschmerzen aber blieben Kleymanns ständiger Begleiter. Der obligatorische Reha-Sport erfüllte seinen Zweck nach drei Klinikaufenthalten nur bedingt. Bewegung ist das wirksamste Gegenmittel. »Man muss sich in den Schmerz, durch den Schmerz hindurch bewegen«, sagt der zweifache Familienvater. Allein eine leistungsbetonte Herausforderung für betagtere Sportler ist nicht so leicht zu finden. »Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben die klassischen Sportvereine doch nur weichgespülte Altherrenprogramme im Angebot«, so Kleymann.
Dank Ingos freundlicher Unterstützung weiß der gebürtige Paderborner endlich um eine adäquate Herausforderung für sein ausgeprägtes Kämpferherz. Ohne den Budo-Sport-Club an der Stettiner Straße geht nichts mehr. Die Stippvisite beim Anfängertraining war tatsächlich nur der Anfang. Ein besseres Ganzkörpertraining ist nicht zu finden. Kickboxer Kleymann bekämpft den Schmerz, lässt sich aber vor allem auch von der Faszination Kampfsport gefangen nehmen: »Boxen hat etwas Ursprüngliches, Schlichtes, Ehrliches. Du stehst einem wildfremden Menschen gegenüber, hast nur deine beiden Fäuste, die Füße und den Kopf, in dem du dir die Taktik zurecht legst. Niemand kann dir helfen. Das ist einfach jedes Mal aufs Neue wieder unglaublich spannend.« Der Ausnahmeathlet weiß sehr genau, dass er mit fast 60 Jahren und gerade im Vergleich mit der mindestens 30 Jahre jüngeren Konkurrenz kein allzu erfolgreicher Kickboxer mehr werden kann, aber ganz persönliche Siege verbucht auch ein Michael Kleymann in regelmäßigen Abständen. Proportional zur körperlichen Leistungsfähigkeit steigt das Selbstbewusstsein. Das Körperempfinden ist ein komplett anderes, viel intensiveres. Von Unverständnis geprägte Aussagen wie »Du bist völlig bekloppt, dass du dich in deinem Alter noch verhauen lässt« ringen Kleymann ein leichtes Schmunzeln ab.
»Man sollte nicht bereuen, was man getan hat, sondern das, was man sich nicht traute«, lauten Oscar Wildes weise Worte, die Michael Kleymann - auch im für Leistungssportler ungewöhnlich hohen Alter von 57 Jahren - noch als wertvoller Leitfaden dienten. Eine provozierende Kurzmitteilung hat er längst nicht mehr nötig. Ein Ausnahmeathlet hat im Budo-Sport-Club Paderborn seine sportliche Bestimmung gefunden.
¥ Der Ausnahmeathlet - das authentische Bekenntnis eines Kickboxers zu seiner Leidenschaft (ISBN 3-86516-287-8), 10,80 E

Artikel vom 06.04.2005