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Eine Prozession
mitten durchs
Verkehrschaos

Pastor Westhof: Ostern in Nicaragua

Von Ruth Matthes
Herford (HK). In langen Prozessionen ziehen an diesem Karfreitag die Katholiken von Nicaragua durch die Straßen, begleiten Jesus auf seinem Leidensweg und tragen ihn in einem Sarg zu Grabe. Vor einem Jahr war Pastor Jürgen Westhof noch mitten unter ihnen.

Der Geistliche, der seit Februar im Pastoralverbund Herford arbeitet, hat zehn Jahre in dem mittelamerikanischen Staat gelebt, zunächst in El Crucero nahe Managua und später in San Carlos in der Montaña, dem Dschungel an der Grenze zu Costa Rica. Dort betreute er mit einem Kollegen und drei Ordensschwestern 25 000 Gläubige in 70 Gemeinden.
»In Nicaragua feiern die Gläubigen die gesamte Karwoche, die Ýsemana santaÜ«, erzählt Westhof. »Sie beginnt mit dem Palmsonntag, an dem der Einzug Jesu in Jerusalem nachgespielt wird. Ein kleiner Junge wird als Jesus verkleidet und reitet auf einem Esel voran. Die anderen begleiten ihn mit Palmwedeln.«
Am Palmsonntag werde besonders deutlich wie das Christentum und die Naturreligion in der Glaubenswelt der armen bäuerlichen Bevölkerung verschmelzen. Dann lassen die Campesinos nämlich nicht nur, wie in Deutschland, die Palmzweige segnen, sondern alles, vom Ehering bis zum Spielzeug ihrer Kinder. »Ich habe literweise Weihwasser verbraucht«, erinnert sich der 45-Jährige. »Viele verstehen den Segen Gottes als Gegenzauber gegen die Macht der bösen Zauberer und Hexen, die für sie ganz real ist.«
Zentraler Feiertag ist der Karfreitag. Besonders in den Großstädten tragen viele zur Buße schwere Kreuze durch die glühende Hitze. Auch in der Montaña gibt es diese Kreuzwege. »Das Leiden und der Tod werden wohl deshalb so intensiv gefeiert, weil sie näher an den alltäglichen Erfahrungen der armen Bauern sind als die erlösende Botschaft des Ostersonntags«, urteilt Westhof. Sie seien fasziniert davon, dass Gott wie sie gelitten habe und identifizierten sich mit ihm.
»Für uns Deutsche besonders ungewöhnlich ist der »santo intierroÜ«, erzählt Westhof. Es handelt sich dabei um die Darstellung der Grablegung Jesu am Ende des Karfreitags. In El Crucero wird Jesus als Puppe in einem gläsernen, beleuchteten Sarg auf einem Wagen sieben Stunden lang durch den dichtesten Verkehr gezogen, gefolgt von einer riesigen Prozession. Die semana santa liegt in der heißesten Jahreszeit. Wer nicht an der Prozession teilnimmt, fährt auf demselben Weg zum Strand. Das Chaos ist perfekt, aber es stört niemanden. Im Gegenteil: Die Autofahrer spenden großzügig.
Wichtiger Bestandteil der Karwoche ist die Beichte. »Für die Menschen der Montaña, die in weit entlegenen Dörfern wohnen, ist sie die einzige Möglichkeit, mit jemandem über ihre Probleme zu sprechen«, hat der Priester erfahren. Jede zweite oder dritte Frau leide unter Misshandlungen in der Familie, doch darüber zu sprechen sei tabu. »Sie fühlen sich schuldig und es ist für sie sehr wichtig, vom Pastor zu hören, dass sie nicht Schuldige, sondern Opfer sind.«
Die eigentliche Osternachtfeier fällt gegen den Karfreitag eher schlicht aus. Sie wird wie in Deutschland bei Kerzenschein gefeiert. »In den letzten drei Jahren begann die ÝNachtÜ jedoch wegen einer nächtlichen Fliegenplage schon um 15 Uhr. Die Tiere hätten uns sonst alle Kerzen gelöscht.«

Artikel vom 25.03.2005