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Gestapo wollte Hinrichtung vertuschen

WB-Serie »60 Jahre danach«: Gewaltverbrechen auch nach dem Einmarsch der Amerikaner

Von Klaus-Peter Schillig
Halle (WB). Gendarm Maßmann war ebenso entrüstet wie Amtsdirektor Eduard Meyer zu Hoberge. Es war der Montag vor Ostern 1945: In Künsebeck ließ an diesem Tag die Gestapo sieben Russen hinrichten und auf dem Friedhof unterhalb der Bahn verscharren. Es war die letzte Untat der Naziherrschaft vor dem Einmarsch der Amerikaner am zweiten Ostertag, dem Ende des Krieges in Halle - ein weiteres Kapitel in der WB-Serie »60 Jahre danach«.

Die Ermordung der russischen Gefangenen war den Amerikanern natürlich nicht lange verborgen geblieben. Und so mussten der damalige Gendarm Maßmann und der wenig später abgesetzte Amtsdirektor Meyer zu Hoberge in getrennten Berichten Stellung nehmen zu dem grausigen Geschehen. Demnach waren die Russen damals aus Bielefeld von der Gestapo nach Künsebeck ins »Waldlager« gebracht worden. Hier, im Ausläufer der Patthorst an der Ecke Flurstraße und Schnatweg, waren überwiegend russische Zwangsarbeiter der damaligen Dürkoppwerke untergebracht.
Maßmann hatte nach eigenen Angaben noch mittels Fernsprecher versucht, über das Landratsamt und das dortige Polizeibüro die Hinrichtung in Künsebeck zu verhindern. Die entscheidenden Leute aber waren nicht erreichbar. So bekam der Gendarm den Auftrag, mit vier russischen Arbeitern für das Ausheben eines Massengrabes auf dem Haller Friedhof zu sorgen. Hier wurden die Ermordeten dann ohne Särge beerdigt.
Das war ein Punkt von vielen, die den Amtsdirektor im Haller Rathaus maßlos verärgert hatten. Denn da war nicht nur ein Verstoß gegen das preußische Bestattungsgesetz passiert, die Haller Obrigkeit war gar nicht informiert worden. »MzH« mutmaßte damals, dass die Gestapo Gegenmaßnahmen befürchtet habe, weshalb die sieben Russen die einzigen Toten in Halle seien, die nicht nur ohne Sarg, sondern auch ohne Registrierung durch das Standesamt beerdigt worden seien.
Die Gewalt der Nazidiktatur war mit dem Einmarsch der Amerikaner am 2. April 1945 beendet (WB vom 15. März), die Gewalt im Gefolge des Krieges aber noch lange nicht. Manches tragische Schicksal spielte sich noch ab. Steinmetzmeister Wilhelm Schmidt beispielsweise hatte sich in einen Bunker verkrochen. Als er nur kurz den Kopf herausstreckte, traf ihn die tödliche Kugel eines Soldaten.
Die inzwischen freigelassenen russischen Zwangsarbeiter fühlten sich plötzlich ebenfalls als Sieger und ließen sich zu Gewaltakten hinreißen. Am 9. April kamen Heinrich Wilhelm Hülsegge (damals 46 Jahre) und sein Sohn Herbert (24) bei Ausschreitungen russischer Arbeiter ums Leben. Das gleiche Schicksal ereilte Erich Windau (44) und Franz-Heinrich Brinkmann (75).
Aus den Unterlagen des Standesamtes im Stadtarchiv geht nicht hervor, wer die zehnjährige Hanna Guttnik (Bauchschuss), den 20-jährigen Günther Pavel (Stichverletzung), die 55-jährige Johanne Brinkkötter (Herzschlag nach Misshandlung) oder den 41-jährigen Hermann Niederastroth (Schädelbruch) auf dem Gewissen hatte. Weiterer Bericht auf der Lokalseite 12

Artikel vom 25.03.2005