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Doch es ist umsonst. Ich höre eine Kugel pfeifen. Mein Hut wird mir vom Kopf gerissen. Zwei vermummte Kerle springen von oben auf unseren Weg.
»Waffen fallen lassen!«, höre ich sie brüllen. Als sie bedrohlich nahe sind, feure ich mein Pistol ab, während mein Pferd durch den lauten Knall nahe seinem Ohr in Panik einen Satz nach vorne macht. Es schlägt wild aus und bekommt den ersten Kerl unter die Hufe, während der andere Wegelagerer plötzlich das Weite sucht. Ich ziele auf ihn und feuere mein zweites Pistol ab. Der Räuber taumelt und fällt. Juan springt erst mit beiden Füßen auf ihn und wirft sich dann über ihn. Brutal wälzen sie sich auf dem Boden. Doch Juan drückt ihm mit dem Arm langsam die Luft ab.
Mich trifft im gleichen Moment ein weiterer Stein nahe der Schulter. Vor Schmerz wirbele ich herum und weiche gerade noch vor dem nächsten zur Seite, während ein Schurke mit einem langen Dolch in der Faust geradewegs auf mich zuhält. Ein scharfer Knall schmerzt in meinem Ohr. Juan hat von dem toten Räuber abgelassen und sein Pistol neben mir abgeschossen.
Der Getroffene taumelt und versucht, bergabwärts zu entkommen.
»Ihm nach!« schreie ich Juan zu, während ich zusammen mit Esquivel Octavio und Guido zu Hilfe eile. Nur wenige Schritte vor uns wälzt sich in der Blutlache eines zusammengebrochenen Pferdes ein Menschenknäuel. Drei Räuber wehren sich verzweifelt gegen das Hauen und Stechen unserer Bolognesen. Ein erbarmungsloses Handgemenge, aus dem entsetzliche Schreie an mein Ohr dringen.
Einer versucht angesichts der entstandenen Übermacht zu fliehen. Noch ehe er zu einem befreienden Degenhieb ausholen kann, wird er von Esquivel umgerannt, der sein kurzes Messer in den Wanst des Kerls bohrt. Kaum sinkt der tödlich Getroffene zu Boden, versuchen wir einen weiteren an Armen und Beinen zu fassen. Doch wir überlassen das todbringende Handwerk Octavio. Verzweifelt wehrt sich der Bandit, während ihm unser Mann gnadenlos die Gurgel zudrückt.
Dagegen erhebt sich Guido mit blutverschmiertem Gesicht aus dem balgenden Haufen. Er hat einen kurzen Dolch in der Hand, den er gerade aus der Schulter eines weiteren Wegelagerers gezogen hat. Plötzlich springt der Räuber todesmutig auf. Er entwindet Guido die Waffe und sticht auf ihn ein. Ein Aufschrei entfährt Guidos Kehle, endet in einem Röcheln. Stumm, mit weit geöffneten Augen starrt er mich an, bevor er in die Knie bricht. Fast noch im selben Moment trifft Esquivels mit aller Kraft geführter Degenhieb den Mordgesellen zwischen Hals und Schulter.
Schon hatte ich geglaubt, wir hätten uns unserer Haut gewehrt, als ich weitere finstere Gestalten wahrnehme, die die Böschung des Hohlweges herunterspringen. Ich will mich umdrehen, doch schon spüre ich einen harten Schlag gegen meinen Brustkorb, der mich rücklings zu Boden gehen lässt. Eine eisenharte Faust hält meinen Arm fest umklammert und entreißt mir meinen Degen. Ich rieche den beizenden, warmen Atem des Unholds, der jetzt zum Schlag mit seiner Waffe ausholt. »Heiliger Diego, lass mein Leben noch nicht zu Ende sein!« geht es mir blitzschnell durch den Kopf. Doch im selben Augenblick geht mir der Schrei des Banditen durch Mark und Bein. Ein harter Stoß wirft uns um. Liegend entwinde ich seinem Griff meinen Arm und merke dabei, wie sein Körper erschlafft. Ein Schwall Blut quillt aus seinem Mund.
Doch es gibt kein Verschnaufen. Schon vernehme ich Juans Stimme wieder neben mir. »Zur Seite!«, brüllt er und reißt mich mit. Erneut fallen Schüsse. Mehrere Banditen haben sich an unsere Pferde und das Gepäck herangemacht; ihre Pistols sollen uns in Schach halten.
Da höre ich dumpfes Hufegetrappel, das sich schnell nähert. Kommandos, die von den Bergwänden widerhallen, mischen sich dazwischen.
»Soldaten!«, kreischen die Banditen. Einer schleudert meine Gepäcktasche zur Seite. »Abhauen, los!«, kommt ein heiseres Kommando oberhalb von uns.
Es ist ein Trupp von Soldaten, der im Galopp zu uns aufschließt und links und rechts die Böschung des Hohlweges besetzt. Ein Teil davon kommt knapp vor uns zum Stehen. Die Pferde schnauben. Der Anführer erblickt die fliehenden Wegelagerer und gibt einem Teil seiner Männer den Befehl zur Verfolgung. Daraufhin sitzt er ab und beugt sich zu den leblosen Körpern auf der Straße nieder. Drei von uns getötete Banditen und unser tapferer Guido liegen in ihrem Blut. Daraufhin geht er zurück. Neben unserem herausgerissenen Gepäck liegt ein weiterer toter Bandit im Staub. Zum Glück ist mein Pferd stehen geblieben.

Der Offizier kommt mit langsamem Schritt zurück. Er bekreuzigt sich und wendet sich dem schwer verletzten Octavio zu. Der Arme hat viel Blut verloren und atmet schwer. Er versucht ein Lächeln, doch es gefriert ihm im Gesicht. Daraufhin fragt er nach seinem Gefährten. Der Mann, den ich für so verroht gehalten hatte, fängt an zu schluchzen, als ihm klar wird, dass Guido getötet wurde. Auf den Wink des Offiziers beginnt einer von dessen Leuten unseren Begleiter zu verbinden. Er tut es so geschickt, dass er auf ein Pferd gesetzt werden kann.
Zwei der Pferde fehlen; Guidos Pferd ist beim Überfall getötet worden, Esquivels ist in Panik davongestürmt. Vielleicht können die Soldaten es einfangen. Ein weiteres Pferd ist schwer verletzt, und es bleibt ungewiss, ob wir es mitnehmen können. Die anderen Tiere haben zwar kleinere Wunden, lassen sich aber wieder aufsatteln.
»Seid Ihr unverletzt?«, wendet sich der Patrouillenführer an uns. Als wir mit einem gezwungenen Lächeln antworten, bekreuzigt er sich und meint: »Unser Gott hat Euch beschützt. Ein großes Wunder hat er am heutigen Tage an Euch vollbracht. Ich reite auf dieser Strecke Patrouille und habe schreckliche Schandtaten erlebt. Diese Banden werden von Geldgier und Mordlust gleichermaßen umgetrieben. Überlebende gibt es selten É«
Ich stehe auf, um die Reste meines Gepäcks einzusammeln. Meinen Degen und meinen Hut finde ich am Straßenrand wieder. Mein rechter Arm blutet, und ich vermisse etliche Westen- und Hemdknöpfe. Mein Mantel und andere Kleidungsstücke sind eingerissen und verdreckt. Meine Begleiter humpeln und stöhnen, aber sie sind wieder auf den Beinen. Wir klopfen uns gegenseitig ab und sind wütend über die teuflische Habgier und Gemeinheit, die uns heute begegnet sind É
»Das war eine Rettung im letzten Augenblick«, sagt Esquivel mit bleichem Gesicht und schwacher Stimme.
»Fast hätte unsere Expedition hier ihr Ende gefunden«, sage ich. Dann fasse ich erst Juan und dann Esquivel bei der Hand: »Ihr seid Helden, das werde ich euch nicht vergessen.«
»Ihr habt auch nicht schlecht gefochten, Meister Diego«, meint lächelnd Esquivel, »ich wusste nicht, dass Ihr das könnt.«
»Ich wusste es selbst nicht«, gestehe ich ein, »jemand hat mir die Klinge geführt. Wahrscheinlich hat Gott mit jedem von uns noch etwas Wichtiges vor. Das ist ein Grund zur Dankbarkeit!«
»Ich weiß etwas Wichtiges, was mir noch aufgetragen ist. Wenn ich einen von diesen Spitzbuben erwische, mache ich ihn einen Kopf kleiner«, versichert Juan, der in dem wilden Kampfgetümmel nur eine blutige Blessur an der Stirn abbekommen hat.
»Auf nach Scarica, Männer!«, gebe ich das Signal zum Aufsitzen. Meine Reise gleicht immer mehr einem Glücksspiel, geht es mir durch den Kopf. Gewinn und Verlust bestimmt der Zufall É

Florenz, 23. Mai 1649

Pfingstsonntag. Nach einem feierlichen Hochamt in der Kirche San Lorenzo steht mir nun ein Termin bevor, von dem ich noch nicht weiß, ob ich mich auf ihn einlassen soll. Ich habe eine Besichtigungsaufforderung durch einen Brief erhalten, der für mich erst gestern an der spanischen Gesandtschaft abgegeben worden ist. Ich möge mich eine Stunde vor dem Mittagsläuten mit einem mir unbekannten Buchdrucker namens Vespasiano Olivetti treffen, der mir den Erwerb einer hochbedeutenden Sammlung anbietet, in der sich Antiken, Goldschmiedearbeiten und Gemälde der größten Meister befänden.
Er sei nicht befugt, Einzelheiten preiszugeben, schreibt dieser Mann, vermutlich ein geschäftstüchtiger Vermittler. Es handle sich um den Besitz einer hoch angesehenen Adelsfamilie. So habe ich es schon öfters gehört und vermute, dass die meisten der angepriesenen Schätze nicht aus Gold bestehen, dafür aber teuer sind. Dennoch gibt es immer wieder Ausnahmen. Mir würde ein hervorragendes Stück aus der ganzen Sammlung genügen. Die Suche nach dieser Perle im Heuhaufen ist manchen Einsatz wert.
Der Briefschreiber behauptet, von gemeinsamen Freunden in Venedig über meinen Aufenthalt in Florenz benachrichtigt worden zu sein. Das könnte der Barbier sein, schießt es mir durch den Kopf. Ihm allein hatte ich vage meine Reiseroute angedeutet. Er schreibt ferner, er sei stolz, wenn er mein Urteil über einige Meisterwerke hören könne. Wir sollen uns am Eingang der Ponte Vecchio unterhalb des Palazzo Pitti treffen. Er sei groß und weißhaarig und werde ein Buch in der Hand halten.
Ich lasse mich mit der Kutsche durch das Gedränge der Menschen fahren und lasse den Kutscher warten, bis ich den hageren Buchbesitzer ausgemacht habe. Sein Habichtsprofil und seine heisere Stimme prägen sich mir schnell ein. Er dirigiert uns in einer kurzen Fahrt an sein Ziel nahe der Kirche Santa Trinità. Es ist ein schmuckloser, dreistöckiger Familienpalazzo. Die breiten Türen werden geöffnet, und man fordert uns auf, in einen rückwärtigen Hof einzufahren.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 04.04.2005