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»Viel sozialer Sprengstoff«

30 Jahre Dammanns Hof - Leerstände sind aktuelle Knackpunkte

Von Judith Frerick
Harsewinkel (WB). Vom Schandfleck war jahrelang die Rede. Die Bevölkerung wollte sich nicht so recht an die Hochhäuser gewöhnen. Als der Dammanns Hof dann in den 80er Jahren auch noch zum sozialen Brennpunkt wurde, war der Ruf vollends ruiniert. Genau 30 Jahre nach dem ersten Bezug der Hochhäuser - Ende März 2005 - sprach das WESTFALEN-BLATT mit Stadtarchivar Eckhard Möller und Fachbereichsleiter Ludger Ströker über die Entwicklung dieses umstrittenen Baugebiets.

Es war ein Politikum und es ist ein Politikum, wobei seit Mitte der 90er Jahre Ruhe eingekehrt ist um Harsewinkels Dammanns Hof. Doch fangen wir ganz zu Beginn an. Stadtarchivar Möller blickt zurück ins Jahr 1968: »Zu diesem Zeitpunkt fiel der Beschluss, in diesem Bereich einen Bebauungsplan aufzustellen und das Gebiet zu erschließen. Man erwartete seinerzeit ein heftiges Bevölkerungswachstum«, erläutert Eckhard Möller und belegt dies auch mit Zahlen: Von 1966 bis 1972 wuchs die Bevölkerung um 3,5 Prozent von 12 700 auf 17 300 Einwohner. »Da waren die Erwartungen, dass Harsewinkel weiter wächst, sinnig«, so Möller.
Das war der Grundstein für den Dammanns Hof. Allerdings war zunächst nur geplant, ein ganz normales Wohngebiet mit Ein- und Zweifamilienhäusern zu schaffen. »Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre wurde die Bebauung aber verdichtet. Man wollte mehr Menschen auf der gleichen Grundfläche unterbringen. In Gütersloh-Blankenhagen fing man damit an, Harsewinkel sollte folgen«, erinnert sich der Historiker. Und er erinnert sich auch daran, dass Hochhäuser in dieser Zeit für ein Landstädtchen wie Harsewinkel etwas sehr Ungewöhnliches waren. Dennoch lautete das Argument, den Flächenverbrauch gering halten zu wollen. 1970 wurde der B-Plan rechtskräftig: Man wollte 512 Wohneinheiten für 1600 Einwohner schaffen - im Norden Reihenhäuser und im Süden Hochhäuser. »So etwas kannte man in Harsewinkel nicht. Und daher sprangen auch die Einheimischen nicht darauf an«, betont Möller.
Doch ehe man sich versah, standen sie an der Nordstraße, die 15 drei- bis siebengeschossigen Bauten mit Wohnungsgrößen von 75 oder 102 Quadratmetern. Vermarktet wurden die Wohnungen über ein Bauherrenmodell. Die Baufirma versuchte, Investoren zu finden. »Die einzige Bedingung war, die Wohnungen nicht selbst zu nutzen, so dass man sie steuerlich gut absetzen konnte«, sagt Eckhard Möller. Alle Wohnungen wurden flugs verkauft - alles war scheinbar risikolos. Im großen Stil wurden die Bauten von der Royal Air Force angemietet. Die Familien britischer Soldaten zogen Ende März 1975 ein, nachdem zuvor Bürgermeister Dr. Strake und Stadtdirektor Kemner die Hochhäuser offiziell übergeben hatten.
Eines hatten die Investoren aber übersehen: Die RAF schloss die Mietverträge lediglich für zehn Jahre ab. In dieser Zeit konnte sich die Investition nicht amortisieren. Und somit hatten sich viele Käufer verkalkuliert. 1985 zogen die Briten also wieder aus.
So stellte sich die Frage nach einer neuer Vermietung. Viele ausländische Interessenten zogen ein. Und während es zuvor ein friedliches Nebeneinander von Briten und Deutschen gab, fingen nun die Probleme an. In einem städtebaulichen Gutachten fielen 1988 Begriffe wie »Ghettobildung« oder »Überfremdung«. Es kam zu den ersten Konflikten. »Das war viel sozialer Sprengstoff«, betont Fachbereichsleiter Ludger Ströker, der seit 1979 Sozialamtsleiter ist und somit die Entwicklung des Dammanns Hof miterlebt hat.
60 bis 70 Wohnungen wurden an Aramäer, islamische Türken und Asylbewerber vermietet. »Wir haben hier die Weltpolitik live mitbekommen. Die Aramäer und Türken waren Spinnefeind. Und auch die Kurden sorgten für Sprengstoff. Das Problem war, dass die Häuser mit unterschiedlichsten Kulturen belegt waren, verfeindete Volksgruppen prallten hier aufeinander. Die Beziehungen waren 1986 mehr als angespannt«, so Ströker.
Mitte der 90er Jahre dann die Entspannung. Das Wohnumfeld wurde verbessert und eine sozialverträgliche Nachbarschaft durch die Zusammenführung der einzelnen ethnischen Gruppen erreicht. 1992 wurde das Wohngebiet entdichtet, die stadteigenen Wohnungen wurden 1996 modernisiert. Eine Stabilisierung trat durch zwei professionelle Verwaltungsgesellschaften ein. Im sozialen Bereich leistete die Gemeinwesenarbeit bekanntlich ganze Arbeit.
Mittlerweile ist Ruhe eingekehrt im Dammanns Hof. Eine Bewohnerbefragung im Jahre 1999 ergab, dass sich die Anwohner in dem Wohngebiet Zuhause fühlen. Trotz dieses Heimatgefühls gibt es neue Probleme: Seit gut einem Jahren verzeichnet man laut Ströker einen hohen Leerstand: 40 von 200 Wohnungen stehen leer - das sind 20 Prozent. »Eine dramatische Entwicklung. Wir müssen also neue Wege gehen. Derzeit sind wir in Gesprächen mit der Wohnungsverwaltung, um diesem Trend entgegen zu wirken. Es gibt einen Katalog von Maßnahmen, den wir im Sommer im Rat vorstellen werden«, erklärt Ludger Ströker dem WESTFALEN-BLATT.

Artikel vom 24.03.2005