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Mitarbeiter decken sich
mit WiFo-Alkohol ein

Egge-Großtanklager am 28. März 1945 bombardiert

Von Michael Robrecht
Neuenheerse (WB). Nur wenige Menschen im Kreis Höxter erinnern sich noch daran, dass sich bis zum Einmarsch der Amerikaner vor fast genau 60 Jahren eines der kriegswichtigsten Großtanklager der Wehrmacht im Eggegebirge bei Neuenheerse befunden hat.

Heute weist außer dem ehemaligen Verwaltungsgebäude, einigen Holzbaracken und unzugänglichen unterirdischen Tanks kaum noch etwas auf dieses bis Frühjahr 1945 streng geheime und gut getarnte Objekt mitten im Eggewald hin. »Selbst in Neuenheerse wussten nur jene Bürger, die dort arbeiteten, was in der Nähe ihres Bahnhofs vor sich ging«, erzählt Neuenheerses Ortsheimatpfleger Dr. Peter Bonk. Viele Gerüchte (»Schokoladenfabrik«) schwirrten umher. Am 28. März 1945 gegen 9.30 Uhr haben 124 amerikanische B-26-Bomber in vier Wellen das WiFo-Großraum-Tanklager in Neuenheerse bombardiert, nachdem Wochen vorher ein erster Angriffsversuch das Tanklager um viele Kilometer verfehlt hatte.
Dr. Bonk berichtet, dass 1936 der Aufbau des Treibstofflagers auf einer 50 Hektar großen Waldfläche gegenüber des Bahnhofs Neuenheerse begonnen hatte. Das Gelände kaufte die WiFo vom Grafen von Westphalen. »Geheimzuhalten war der Aufbau aber nicht, da viele Arbeitskräfte aus der näheren und ferneren Umgebung gebraucht und mit Bussen herangeschafft wurden«, sagt Dr. Bonk. Erstmals interessierte sich 1937 Radio Luxemburg für das Geheimprojekt: »Was geschieht am Bahnhof Neuenheerse?« fragte der Sender aufgeregt. 12 aus Eisenblechen gefertigte Behälter von je 60 000 Litern wurden oberirdisch aufgestellt. Für die Lagerung von Ölen und Schmierstoffen gab es Magazine. Auch unterirdisch wurden Lagerräume angelegt. Im Bereich der WiFo befanden sich eine 80-Meter-Laderampe und ein 900 Meter-Bahnanschlussgleis.
»Bis 1944 beförderte die Reichsbahn die WiFo-Kesselwagen in geschlossenen Zügen bis Altenbeken, um sie dann mit aus höchstens 13 Wagen bestehenden Rangierabteilungen nach Neuenheerse zu bringen, hat Dr. Bonk herausgefunden. Die vollen Kesselwagen standen auf dem Altenbekener Bahnhof sowie auf allen Nebengleisen der Strecke bis Warburg.
Besonders in den letzten Kriegsjahren litten motorisierten Wehrmachtsverbände unter akutem Spritmangel, und so wurden Öle und Fette immer stärker aus land- und forstwirtschaftlichen Produkten gewonnen. »Eine Mischanlage in der WiFo erzeugte Treibstoff durch ein geheimgehaltenes Verfahren«, weiß Dr. Bonk. Die ab 1944 der WiFo Neuenheerse zugeführten Produkte kamen aus Kartoffelbrennereien. »Diesen Alkohollieferungen war es zu danken, dass sich Beschäftigte der WiFo auch der Herstellung von Schnaps und diversen Likören hingaben und den Alkohol auch mitnahmen«, schmunzelt Dr. Peter Bonk.
Gegen Kriegsende vermuteten die Alliierten, dass die deutschen Truppen nur noch aus WiFos ihren Treibstoff bezogen. Dabei hatten sie nicht bedacht, dass auf den wenigen noch funktionierenden Eisenbahnlinien so viel WiFo-Sprit an die bröckelnden Fronten gar nicht mehr gebracht werden konnte, relativiert Dr. Bonk.

Artikel vom 25.03.2005