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Orgelakkorde als »Hammerschläge«

Musikalische Andacht mit Duprés »Kreuzweg« und Texten von Claudel

Von Christine Hartlieb
Bad Lippspringe (WV). Nicht als Konzert, sondern als musikalische Andacht wollte Pfarrer Georg Kersting die Palmsonntagsveranstaltung in der Martinskirche Bad Lippspringe verstanden wissen.

Eingeladen hatte die Gemeinde zum »Chemin de la Croix«, zum »Kreuzweg« für Orgel von Marcel Dupré nach Texten des Dichters Paul Claudel. Der Abend mit Rezitation und Musik schloss denn auch nicht mit Verbeugungen und Applaus, sondern mit Vaterunser und Segen.
Claudels Texte zu den vierzehn Stationen des Kreuzwegs - von der Verurteilung bis zur Kreuzabnahme - erzählen die Geschichte vom Leiden und Sterben Jesu in bewegenden Bildern und mit allen denkbaren Zwischentönen: Ihr Blick richtet sich auf den Menschen Jesus, auf seine Beziehung zu Gott, zu seiner Mutter und zu seiner Gemeinde, auf die Bedeutung des Geschehens für die Menschheit und für jeden Einzelnen. Neben Verzweiflung und stiller Trauer, neben der Raserei der Volksmenge und dem Spott der Soldaten scheinen auch Momente des Trostes, der Menschlichkeit und der Hoffnung auf.
Die Rezitatorin Barbara Stoll, Schauspielerin und Rundfunksprecherin aus Stuttgart, verlieh den Texten mit ihrer dunklen, kraftvollen Stimme allen Nachdruck. Spannungsvoll, doch niemals theatralisch rückte Barbara Stoll die Geschichte und ihre Botschaft selbst, niemals aber den Vortrag als solchen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Die zugehörige Orgelmusik von Marcel Dupré entstand zunächst als Improvisation zu einer Lesung von Claudels Kreuzweg. Die kompositorische Ausarbeitung der vierzehn Kreuzweg-Stationen aus dem Jahr 1931 gehört heute zu den Standardwerken der virtuosen Orgel-Literatur - denn so bildreich und dicht wie die Sprache Claudels, so tiefgründig und voller dramatischer Kraft ist auch die musikalische Ausdeutung.
In der Interpretation von Kirchenmusikdirektor Friedhelm Flamme (Göttingen) wurden die Register der Orgel zum Gebrüll der Menschenmenge oder zum Erdbeben nach dem Kreuzestod, sie erzählten von der Menschlichkeit der Veronika und von der Würde, die der Gemarterte bis zum Ende bewahrt. Spätestens bei den dröhnenden Orgelakkorden - den Hammerschlägen - bei der Kreuzigung konnte sich wohl kaum ein Zuhörer mehr der Gewalt der heraufbeschworenen Bilder entziehen.
Die Dia-Projektion von Stationen eines Bronze-Kreuzweges der Bielefelder Künstlerin Nina Koch wäre hier gar nicht mehr notwendig gewesen, wirkten einige der Bronzetafeln in ihrer figürlichen Darstellungsweise doch geradezu niedlich im Vergleich zu der Kraft des Gehörten. Die inneren Bilder jedoch werden die Besucher der Musikalischen Andacht nicht so schnell wieder losgelassen haben.

Artikel vom 22.03.2005