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Nächtliche Angriffe
zermürben die Stadt

Neues Buch über »Tag, an dem Paderborn unterging«

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Der 60. Jahrestag des Kriegsendes hat zu einer Vielzahl von Veröffentlichungen und Dokumentationen geführt. Für heimische Leser am interessantesten dürfte dabei das brandneue Buch »Der Tag, an dem Paderborn unterging« von Hans-Jörg Kühne sein.

Der Bielefelder Historiker rückt dabei nicht nur den 27. März 1945 in den Blickpunkt. An jenem schwarzen Frühlingstag erlebt die schon im Juni 1940 erstmals von feindlichen Bombern ins Visier genommene Stadt das schwerste Bombardement, das fünf Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner zur fast vollständigen Zerstörung Paderborns führt. Kühne zeichnet in seinem 64-seitigen Buch mit zahlreichen, zum Teil bislang unveröffentlichten Schwarz-Weiß-Fotos den britischen und amerikanischen Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung im Planquadrat »Konrad Siegfried 2« nach, in dem die ostwestfälische Bischofsstadt liegt.
Obgleich die nach Bielefeld zweitgrößte Stadt des damaligen Regierungsbezirks Minden als Einsenbahn-Knotenpunkt mit zwei Ausbesserungswerken, Kasernenanlagen und dem zur Nachschub- und Instandsetzungsbasis für Bomber und Jagdflugzeuge aufgerüsteten »Luftpark Mönkeloh« über wichtige militärische Ziele verfügt, wird sie vom zuständigen Luftgaukommando nur als »Luftschutzort zweiter Ordnung« eingestuft und damit vergleichsweise schutzlos den Angriffen ausgesetzt. Der erste britische Luftangriff gilt schon am 20. Juni 1940 den Anlagen der Panzerkaserne an der Driburger Straße und dem Flughafen. Der Sachschaden ist nur gering, doch die abgeworfenen Sprengbomben kosten drei Soldaten das Leben - die ersten von mehr als 900 Bombenopfern in Paderborn.
Während sich die Amerikaner, die 1943 ihre achte Luftflotte nach England verlegen, bei ihren Angriffsplanungen zunächst auf militärische Schwerpunkte konzentrieren, verfolgt die britische »Royal Air Force« mit ihrer Strategie des »morale bombing« das Ziel, die deutsche Zivilbevölkerung durch Terror zu zermürben.
Den einfliegenden Bomber-Pulks haben die deutschen Verteidiger immer weniger entgegen zu setzen. Gerade einmal 15-jährige Oberschüler werden in Paderborn als »Luftwaffenhelfer« an die Flugabwehrkanonen (»Flak«) beordert. In der ganzen Stadt exisitert kein einziger Luftschutzbunker. Die Bevölkerung muss sich bei den immer häufigeren Sirenenalarmen in die Keller flüchten, die notdürftig ausgebaut und gesichert werden - unter anderem werden die Keller nebeneinander liegender Häuser durch ein »Gängeband« miteinander verbunden, um bei verschütteten Fluchtwegen über alternative Ausgänge zu verfügen.
Seit dem Herbst 1944 häufen sich die Luftangriffe. »In der Paderstadt verging kaum noch ein Tag oder eine Nacht, in der nicht die Sirenen heulten und die Menschen in die Luftschutzräume trieb«, schildert Autor Kühne die quälenden Monate bis zum Kriegsende. »Der Entwarnung folgte oft unmittelbar darauf der nächste Voralarm. Die Menschen legten sich bald 'unausgezogen' und jederzeit 'sprungbereit' ins Bett. Vor allem die nächtlichen Alarme zermürbten die Einwohner. Man lag in einem bleiernen Schlaf, wurde aufgeweckt, nahm seine bereit stehende Tasche oder den Koffer, in dem man Wäsche zum Wechseln und die wichtigsten Dokumente, Papiere und Wertgegenstände gepackt hatte, zog sich an und ging in den Keller oder einen anderen Luftschutzraum.«
Am 17. Januar 1945 fliegt die US-Air Force mit 397 Bombenflugzeugen - der größten bislang in Richtung Paderborn geschickten Flotte - den ersten schweren Luftangriff auf die Stadt. Die beiden Terrorangriffe am 22. und 27. März legen die Stadt endgültig in Schutt und Asche. Zwischen 1940 und 1945 registrieren die Statistiker 50 Luftangriffe auf die Stadt, bei denen 903 Menschen getötet und weitere 1425 schwer verwundet werden - eine Bilanz, die noch weit dramatischer hätte ausfallen können, wenn von den ursprünglich 42 490 Einwohnern im Jahr 1939 nicht bis auf wenige tausend die meisten bereits die zerstörte Stadt verlassen hätten. Von den 4220 Gebäuden der Stadt sind bei Kriegsende nur noch 68 unbeschädigt geblieben.
Das Buch »Der Tag, an dem Paderborn unterging« (Wartberg-Verlag, 17.90 Euro) ist seit wenigen Tagen im Handel erhältlich.

Artikel vom 22.03.2005