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»Oma buk Pfannekuchen mit Senföl«

Erika Femmer berichtet über die Versorgungslage 1945

Von Friederike Niemeyer
Steinhagen (WB). »Bei Femmers gab es immer etwas zu essen.« Erika Femmer, Tante des heutigen Inhabers der heimischen Bäckerei, Wilhelm Femmer, kann sich noch gut an das Jahr 1945 erinnern. Der Krieg war vorbei, doch auch in Steinhagen gab es immer weniger zu essen. Viele Menschen hungerten und wandten sich in ihrer Not an die Bäckersfamilie.

Was Zeitzeugen aus dem Altkreis mit dem Kriegsende verbinden, erzählen sie in der WESTFALEN-BLATT-Serie »60 Jahre danach«. Heute macht die 71-jährige Erika Femmer für Steinhagen den Anfang.
Die Bäckerei Femmer wurde 1888 von Erikas Großvater Heinrich Femmer und seiner Frau Elise, geborene Tatenhorst, in Obersteinhagen gegründet. Deren Eltern wiederum, Heinrich-Wilhelm und Katharina Tatenhorst, hatten dort an der Brake bereits 1858 ein Fachwerkhaus gebaut. Die Inschrift über dem alten Deelentor erinnert noch heute an dieses Haus, ein altes Himmelbett von 1820 zeugt von noch älteren Zeiten auf dem Hof Diering in Hoberge.
In jenem Fachwerkhaus, das heute ausschließlich Wohnhaus ist, befand sich viele, viele Jahre lang die Bäckerei und der kleine Tante-Emma-Laden, »mit hochklappbarem Holztresen und vier Fenstern«, wie Erika Femmer noch genau erinnert. Seit sie zwölf Jahre alt war, half sie dort beim Verkauf. Ihr Vater Karl-Friedrich Femmer war Hoferbe, doch als seine Frau nach 17 Jahren Ehe starb, stand er mit vier Kindern nicht allein da. »Jetzt muss ich wieder die Stärkste sein«, sagte Großmutter Katharina und nahm die Geschäfte in die Hand, erzählt Erika Femmer.
Die Versorgungslage war in den Kriegszeiten noch erträglich, wie überall auf dem Land. »Bezahlt« wurde mit den Lebensmittelmarken. Die Bauern brachten noch ihr Mehl zur Lohnbäckerei und bekamen von Femmers die großen Sechspfünder zurück. Doch nach Kriegsende kamen die Hungerjahre. »Immer wenn gebacken wurde, standen zehn, zwölf Menschen vor unserer Tür. Wir hatten gar nicht so viel Mehl, um genug Brot zu backen«, erzählt Erika Femmer. Oft baten auch russische Kriegsgefangene, die bei Schwarze in Quelle arbeiteten, um etwas zu essen. »Oma buk dann Pfannekuchen mit Senföl oder kochte eine Suppe. Irgendetwas bekam jeder.«
Um an Mehl zu kommen, fuhr Bruder Gerhard Richtung Osnabrück, etliche Flaschen Steinhäger im Gepäck. Schließlich hatte der Vater gesagt: »Sieh zu, dass du Mehl bekommst, ich backe nicht nur von Maismehl.« Mit der Währungsreform 1948 habe sich durch das neue Geld die Situation dann verbessert. »Wir alle in der Familie gaben unsere 40 Mark ab, damit mein Bruder davon Mehl kaufen konnte, und dann wurde gebacken«, erzählt Erika Femmer.
»Unser Haus war voller fremder Leute«, berichtet sie zudem von einer Erfahrung, die viele Steinhagener machten. Waren es in den Kriegsjahren vor allem Frauen aus Russland und der Ukraine, die als Zwangsarbeiter der Bäckerei zugewiesen wurden, kamen später Flüchtlinge und Vertriebene dazu.
Besonders gerne erinnert sich Erika Femmmer an die »Rosen-Damen«, zwei Zwillingsschwestern, die in Bielefeld ausgebombt worden waren. Der Knecht musste ins Dorf fahren und die beiden zugewiesenen pensionierten Lehrerinnen Rose abholen. »Wir Kinder rückten zusammen, damit sie bei uns schlafen konnten. Doch es war ein großer Gewinn für uns.« Zwölf Jahre blieben die beiden Damen und brachten den Kindern vieles bei. Als Erinnerungsstück schenkten sie Erika eine Ausgabe von Grimms Märchen.

Artikel vom 22.03.2005