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30 Amerikaner ziehen ins Arzthaus ein

Käthe Kietsch erinnert sich an die vorrückenden Alliierten - Munitionslager fliegt in die Luft

Von Friederike Niemeyer
Steinhagen (WB). Sie kamen als Befreier von der Hitler-Diktatur, die amerikanischen Soldaten, die im April auch in Steinhagen Quartier bezogen und als Besatzer die Geschicke der Gemeinde leiteten. Doch die damals erst 14-jährige Käthe Kietsch erlebte den Einmarsch der Truppen zum Kriegsende vor 60 Jahren vor allem als Zwangsräumung. Denn sie und ihre Familie mussten das elterliche Haus für die Besatzer verlassen.

Vor 60 Jahren am 4. März feierte Käthe, damals Rahmann, ihre Konfirmation noch unter dem Eindruck der näher rückenden Kampflinien. »Wir hatten Vollalarm, und es gab keinen Strom«, erinnert sie sich. Die Katechumenen mussten deshalb den Blasebalg treten, damit die Orgel in der Dorfkirche »Luft bekam«. Viel schwerer wog für die Konfirmanden aber, dass so viele Väter nicht mit dabei sein konnten. Auch von ihrem Vater, Dr. Hans Rahmann, gab es erst Ende Juni wieder ein Lebenszeichen.
Im elterlichen Arzthaus, Bahnhofstraße 21 (1989 einem modernen Geschäftshaus gewichen), wohnte derweil Käthe Rahmann mit der Mutter, drei Geschwistern und dem Hausmädchen. 1945 beherbergten sie zudem zugewiesene Bombenflüchtlinge, eine Mutter aus Monschau mit ihren fünf Kindern, eine Mutter mit Kind und Vater aus Bielefeld sowie eine Tante. Und in der väterlichen Praxis versorgte der alte Dr. Knabe, selbst als Flüchtling in die Gemeinde gekommen, die Dorfbevölkerung.
Doch als die amerikanischen Truppen die Panzersperren an den Steinhagener Zufahrtsstraßen umfahren hatten und in den Ort kamen, wurde alles anders, erinnert sich Käthe Kietsch. Durch den Beschuss war der alte Hof Detert abgebrannt, ein Munitionslager in der Osterfeldstraße explodiert. »Das knallte ganz schön, und wir hatten Angst«, erzählt Käthe Kietsch. Zunächst wurden fünf Häuser beschlagnahmt, darunter das Nachbarhaus Gehle, dann bald darauf auch das Rahmannsche Haus.
Eine besondere Schrecksekunde gab es für die Familie, als der amerikanische Kommandant das Haus inspizierte. In ihrem Zimmer hatte die zugewiesene Frau aus Monschau auch die »braune« Ortsgruppenleiter-Uniform ihres Mannes aufbewahrt, und als sich die Tür öffnete und den Amerikaner sah, wurde sie wachsweiß, erinnert sich Käthe Kietsch. »Doch meine Mutter hat blitzschnell reagiert, gemerkt, dass etwas in dem Zimmer nicht stimmt und die Soldaten abgelenkt.« Solch ein Fund hätte schlimme Konsequenzen gehabt.
Die Flüchtlinge wurden umquartiert, und für sechs Wochen waren 30 Amerikaner nun »Gäste« im Hause Rahmann. »Wir wohnten in dieser Zeit zu sechst im Bestrahlungszimmer«, berichtet Käthe Kietsch. Dann lösten die englischen Truppen die amerikanischen Truppen ab und richteten in dem Ärztehaus ein Lazarett mit 60 Betten ein. Ihre Familie wurde gegenüber in das gelbe Schlichte-Haus umquartiert und richtete dort für den aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Vater wieder eine Praxis ein. »Als wir nach acht Tagen die Praxis soweit hatten, wurde auch dieses Haus beschlagnahmt und wir mussten erneut umziehen.« Im Upmanns Hof in der Stettiner Straße übernahm Dr. Hans Rabe schließlich die angeordneten Tuberkulose-Reihenimpfungen, Käthe half ihm bei den Schreibarbeiten, an einen normalen Schulbetrieb war ja noch lange nicht zu denken.
Das Treiben im Elternhaus nahm Käthe Kietsch nun nur noch von außen war. Als junges Mädchen war sie sowieso von den Eltern angewiesen, sich von den durch den Krieg stark gezeichneten Engländern fernzuhalten. Die hatten schnell »Freundschaft« mit der heimischen Schnapsspezialität geschlossen und waren häufig betrunken. An eine Szene denkt Käthe Kietsch dabei besonders: Ein betrunkener Soldat kam mit einem Stahlhelm voller Eier zurück. Doch an der Treppe zum Lazarett stolperte er so, dass sich die ganzen Eier auf den Stufen ergossen.
1947 war für die junge Käthe Rahmann alles vorbei: Die Engländer waren fortgezogen und die Familie bezog wieder ihr Heim.

Artikel vom 30.03.2005