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Um Haaresbreite davongekommen

Ostern 1945: Bombardierung der Stadt Borgholzhausen war bereits beschlossene Sache

Von Katrin Niehaus
Borgholzhausen (WB). Panzer dröhnten, Granaten explodierten, Menschen starben, Häuser brannten. Ostern 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wurde auch Borgholzhausen in die Kämpfe verwickelt. Die Amerikaner hatten bereits Unterstützung aus der Luft angefordert, um die Stadt zu bombardieren. Einer Handvoll mutiger Männer ist es zu verdanken, dass Pium um Haaresbreite einem Blutbad entging. »60 Jahre danach« blickt das WESTFALEN-BLATT zurück.

Die 5. SS-Panzerdivision Wiking hatte sich in Borgholzhausen verschanzt. Ihre Wahl war auf die Stadt gefallen, weil sie sich wegen ihrer Passlage besonders gut als Verteidigungspunkt eignete.
Die Amerikaner, die vom Niederrhein her anrückten, waren nicht mehr fern, als die ersten Panzersperren im Ort errichtet wurden. Am Friedhof und in der Freistraße sollten sie den Feind stoppen. Gleichzeitig musste der Volkssturm am späten Ostersonntag, 1. April, Schützenlöcher in der Nollheide und im Enkefeld ausheben.
Wenig später am Ostermontag, 2. April, gegen 18 Uhr waren die ersten dumpfen Detonationen zu hören. In Holtfeld in Höhe der Gaststätte Niederlücke (heute Bostik) lieferten sich die Amerikaner, die auf breiter Front aus Richtung Hörste angerückt waren, Gefechte mit deutschen Maschinengewehr-Stellungen. In der Lebkuchenstadt wurde ein feindlicher Flieger gesichtet, der seine Kreise über dem Teuto zog.
Eine Stunde später wurde auch das Zentrum von der Artillerie beschossen. Granateinschläge, Maschinengewehr-Feuer, brennende Häuser - die Piumer verkrochen sich in ihren Kellern oder flohen in die Berge, um sich zu retten. 22 Menschen, zumeist SS- und Wehrmachtsangehörige, starben. Der Beschuss dauerte bis zum nächsten Morgen, Osterdienstag. Die meisten deutschen Soldaten verließen unterdessen den Ort.
Obwohl die völlige Zerstörung drohte, wollte Amtmann Borchert, der damalige Bürgermeister, die Stadt nicht selbst an die Amerikaner übergeben. Als Heinrich Knaust sen. ihn dazu aufforderte, sagte er, dass das Sache der Wehrmacht sei.
Die Piumer sorgten sich jedoch um ihre Stadt und die Menschen, die darin lebten. Einer von ihnen war Elektromeister Wilhelm Vormbaum. In der Nacht zu Dienstag machte er sich mit einer weißen Fahne und einer Taschenlampe auf den Weg zu den Amerikanern. Ein schwerer und riskanter Gang. Nachdem er sein Ziel erreicht hatte, erfuhr er, dass die Bombardierung bereits beschlossene Sache sei. Wilhelm Vormbaum redete mit Engelszungen, und es gelang ihm schließlich, das Schlimmste abzuwenden.
Kurze Zeit später, gegen 5 Uhr morgens, trafen vier weitere Männer ein, die ebenfalls beschlossen hatten, die Stadt auf eigene Faust zu retten. Das waren Heinrich Knaust sen., Schlachtermeister Hugo Bohle, der Pole Franz, der bei Knaust als Zivilarbeiter beschäftigt war, und ein SS-Mann, dem sie die weiße Fahne in die Hand gedrückt hatten. Auch sie versprachen, die Stadt kampflos zu übergeben.
Während die Amerikaner Vormbaum, den Polen und den SS-Mann als Geiseln behielten, durften Knaust und Bohle in die Stadt zurückkehren, um die Kapitulation vorzubereiten. Gegen 6 Uhr wurde der Beschuss eingestellt, und es herrschte eine fast gespenstische Stille. Nach und nach wurden die weißen Fahnen gehisst - und Pium war gerettet.

Artikel vom 19.03.2005