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Paderborner Berufsschüler
schreiben Geschichtsbuch

Geschichtsstunde in Polen - Zeitzeugen befragt

Von Andrea Pistorius
Kreis Paderborn (WV). Geschichte kann schrecklich langweilig sein, wenn sich im Unterricht endlos Namen, Kriege und Jahreszahlen aneinanderreihen. Das Wirtschaftsgymnasium am Ludwig-Erhard-Berufskolleg macht es anders: Es schickt Schüler nach Polen, um mit Zeitzeugen zu sprechen.

In den Osterferien wird die Projektgruppe »Europäische Geschichte« mit 19 jungen Frauen und Männern nach Allenstein aufbrechen, das heute Olsztyn heißt und einmal zu Ostpreußen gehörte. Hier gibt es eine Universität, zu der Christoph Marx freundschaftliche Beziehungen pflegt. Ein Lehrauftrag hatte den Pädagogen am Paderborner Kolleg in das östliche Nachbarland geführt, jetzt kehrt er für eine Woche zurück. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dirk Bauer hat Marx das Zeitzeugen-Projekt vorbereitet. Mit Hilfe der Historikerin Christa Mertens haben die Gymnasiasten Kontakt zu ehemaligen polnischen Zwangsarbeitern aufgenommen, die während des Zweiten Weltkriegs ins Hochstift verschleppt worden waren. Mertens hatte im Auftrag der Stadt Paderborn die Lebenswege dieser Menschen recherchiert und wechselseitige Besuche vorbereitet. Die Berufskollegiaten schrieben die inzwischen betagten Frauen und Männer an und baten um ein Gespräch.
Die Besuche bei den Zeitzeugen sollen in der Zeit zwischen dem 2. und 9. April stattfinden. Begleitet werden die Deutschen, alle zwischen 18 und 20 Jahre alt, von polnischen Studenten aus Allenstein, die ihnen bei der Verständigung mit den ehemaligen Zwangsarbeitern helfen werden. Sie werden die Paderborner auch auf ihren Reisen kreuz und quer durch das Land auf dem Weg zu den teilweise abgelegenen Wohnorten der Interviewpartner begleiten. »Wir werden mit dem Zug fahren und sicher auch unterwegs mal übernachten«, freut sich Jan Oertzen auf eine Reise mit vielen neuen Erfahrungen. Es werde höchste Zeit aufzubrechen, meint Markus Dreier: »Die Zeitzeugen sterben, wir müssen jetzt was tun«.
Sandra Knust hat sich für das freiwillige Projekt entschieden, »weil ich Interesse an der NS-Zeit habe und finde, dass die Ereignisse damals nicht in Vergessenheit geraten sollen«. Also war sie dabei, als es in der Vorbereitung der Zeitzeugen-Befragung im Unterricht um geschichtliche Hintergründe und die Frage ging: »Was haben wir mit den Untaten unserer Väter zu tun?« Verstehen wollen was damals in der Zeit des Zweiten Weltkriegs passiert ist, scheint das Hauptmotiv für das Engagement der jungen Leute zu sein. Und damit von ihren Erfahrungen und Eindrücken auch andere noch etwas lernen können, planen sie, ihre Recherchen als Buch herauszugeben. »Ich möchte in meiner Schulzeit nicht nur Wissen aufnehmen, sondern auch selbst etwas hinterlassen«, sagt Maike Greinel.
Sie hat einige der ehemaligen Zwangsarbeiter bereits im vergangenen November kennengelernt, als diese auf Einladung des Bürgermeisters Paderborn besuchten. Die Wirtschaftsgymnasiasten hatten damals für die Gruppe einen Stadtrundgang vorbereitet und die alten Leute auf ihrem Weg durch die Bischofsstadt begleitet, der viele Erinnerungen weckte. Jetzt wollen sie sehen, wo und wie die Polen in ihrem Heimatland leben. Von dieser Reise wieder zurück gekehrt nach Paderborn beginnt die Phase der Interview-Ausarbeitung. Dabei werden sich die Berufskollegiaten mit ihren polnischen Projektpartnern via Internet austauschen.
Im August ist ein Gegenbesuch geplant, die Allensteiner werden das Hochstift kennenlernen. Spätestens dann soll das Buch fertig sein und im Rahmen eines Vortragsabends an der Universität vorgestellt werden. Unterstützt wurde das Projekt von der Stiftungsinitiative »Frieden für Europa«.

Artikel vom 19.03.2005