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»Ich brülle auch als Rentner 'rum«

»Der Alte« seit 27 Jahren unter sportlichem Starkstrom - Entspannung nur im Allgäu

Von Marco Purkhart
Gütersloh (WB). Zart und gefühlvoll hält er die beiden empfindlichen Luftballons in den Händen. Man mag kaum glauben, dass dieser besonnene Mann, der sich da dem Fotografen stellt, Siggi Meyer ist. Schließlich kennt man den 58-Jährigen sonst eher als brodelnden Vulkan an der Linie des Fußball-Bezirksligisten TuS Friedrichsdorf. Heute aber mal ganz ruhig - im WB-Sportstudio.

Herr Meyer, warum rasten Sie bei Spielen Ihrer Mannschaft eigentlich immer so aus?Meyer: Ich lebe Fußball und fiebere wie verrückt mit. Daher regen mich manche Dinge maßlos auf. Den dicksten Hals kriege ich, wenn meine Stürmer aus den unmöglichsten Position eigennützig draufhalten statt abzugeben. Deshalb haben wir übrigens in der Hinrunde nur vier Stürmertore erzielt. Da könnte ich platzen!
Hat es denn der Spieler Meyer damals besser gemacht als seine heutigen Offensiv-Schützlinge Brinktrine, Gel, O'Connor oder Acar?Meyer: Ich war kein Weltklasse-Mann, habe es nur mit VfB Bielefeld in die Verbandsliga geschafft. Aber ich bin ein Stürmer gewesen, der da hin ging, wo es weh tat. Ich habe auch lieber vorbereitet als vollendet. Ein schöner Doppelpass - das war für mich das höchste aller Gefühle.
Angesichts Ihres Temperaments als Trainer könnte man meinen, es hat für Sie auf dem Rasen rote Karten nur so gehagelt. War Meyer ein Motzki? Meyer: Ich habe nur eine einzige rote Karte kassiert - berechtigterweise wegen eines brutalen Revanchefouls. Aber es stimmt schon, ich konnte immer sehr laut werden und habe besonders gerne meine Sturmkollegen kritisiert, wenn sie mal wieder die Murmel nicht abgegeben haben. Und das ist bis heute so geblieben.
Derartiger Stress ist doch nicht gesund. Seit 27 Jahren stehen Sie in Diensten des TuS Friedrichsdorf und somit unter sportlichem Dauerstarkstrom. Wie lange halten Sie das noch durch?Meyer: Ich wollte eigentlich im Sommer aufhören und nur noch Obmann oder sowas machen. Aber Mannschaft und Verein haben mich überredet. Es bereitet mir ohnehin noch zu viel Freude, ich brauche das Adrenalin. Ich werde wohl noch als Rentner brüllend an der Linie stehen.
Wo holen Sie sich denn den Ausgleich für das anstrengende Trainerleben?Meyer: In 2000 Metern Höhe! Ich begebe mich jedes Jahr im September mit meinen fünf Geschwistern auf große Wandertour im Allgäu. Da ziehen wir vier Tage lang von Hütte zu Hütte.
Das klingt aber nicht wirklich nach Erholung.Meyer: Ist es aber. Es gibt nichts Wohltuenderes als diese herrliche Ruhe weit oben auf dem Berggipfel in einer spartanischen Holzhütte. Das endet übrigens nicht in einem Saufgelager, wie viele vielleicht denken würden. Ich trinke selber höchstens mal ein Bier. In diesem Jahr unternehmen wir unseren Wandertrip übrigens bereits zum zehnten Mal. Das hat also schon echte Familientradition.
Womit verbringt Siggi Meyer seine Zeit, wenn er ausnahmsweise nicht am Spielfeldrand umherhüpft oder eine Alm nach der anderen erklimmt?Meyer: Neben dem Fußball beschäftigt mich vor allem unser Hund »Aaron«, mit dem ich viel Gassi gehe. Ansonsten wühle ich noch sehr gerne in meinem Garten herum. Meine Lieblingspflanze ist der Rhododendron.
Ein Rosengewächs. Sieht's auch im TuS derzeit rosig aus?Meyer: Es sieht eher »meyermäßig« aus. Seitdem auch mein Bruder Lothar als Co-Trainer der A-Jugend im TuS eingestiegen ist, engagiert sich fast meine ganze Familie im Verein. Werner ist im Fußballabteilungsvorstand, und Ralf und ich trainieren die Bezirksliga-Truppe. Nur Helmut hat nichts mit Fußball am Hut. Vier von fünf Brüdern haben also derzeit ein Amt besetzt - da musste sogar ich schmunzeln.
Dann kann es ja fortan nur noch aufwärts gehen. Wann kickt der TuS Friedrichsdorf endlich wieder in der Landesliga?Meyer: Ich fürchte, das wird nie mehr der Fall sein. Uns fehlt dazu einfach das nötige Kleingeld. Im Sommer rücken zwar fünf große Talente aus der Jugend nach, aber damit allein kann man in der Landesliga nichts reißen. Ohne Moos gibt's nur ein Los - und das heißt Bezirksliga.
Bedauern Sie diese begrenzten Aussichten?Meyer: Nein, die siebte Liga ist genau die richtige. Hier wird schon vernünftiger Fußball geboten, und es finden noch relativ viele Derbys statt. Wir haben ja von 1986 bis 1988 zwei Jahre lang in der Landesliga gekickt. Das war schon eine sehr schöne Zeit, die ich nicht missen möchte. Aber so lange ich noch mitfiebernd aus meinem Trainerstuhl springe, wenn mal wieder eine Torchance versiebt wurde, ist doch alles in Butter. Ich liebe diesen Sport!

Artikel vom 19.03.2005