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Von Frank Spiegel

Höxteraner
Aspekte

Molch müsste man sein


So ein Kammmolch hat es doch gut: Seine bloße Existenz lässt eine gewisse Klientel ruckzuck dermaßen in Verzückung geraten, dass alles andere unwichtig erscheint. Wer in dieser Woche die Vorstellung der im Zusammenhang mit dem Bau der B64/83 n »notwendigen« Maßnahmen zum Schutz dieses bis zu 18 Zentimeter großen Geschöpfes aus der Welt der Amphibien verfolgt hat, musste sich - vorausgesetzt er gehörte nicht zu besagter Klientel - vorkommen, als säße er im »falschen Film«.
Man lasse es sich auf der Zunge zergehen: Eine Kammmolchpopulation - so sagt der Biologe, gemeint sind eine gewisse Zahl männlicher und weiblicher Kammmolche (»Triturus cristatus«), die auch willens und in der Lage sind, für Nachkommen zu sorgen - lebt zwischen Godelheim und Höxter. Noch - muss man sagen, denn der Lebensraum dieser Tiere versandet. Da kann niemand wirklich etwas dafür, denn der ursprüngliche Lebensraum der Molche ist ein weitgehend von Menschenhand unberührter Teich. Dass der nun versandet und ein Überleben der »Population« unmöglich macht, ist wohl das, was man den Lauf der Natur nennt. Aber: Kammmolche sind vom Aussterben bedroht.
Da haben die possierlichen Tierchen doch wirklich Glück, dass auch das Lebewesen Mensch um seinen Lebensraum besorgt ist und vor allem, dass es da Politiker-Menschen gibt, die den Wunsch beider Wesen nach einem lebens- und überlebenswerten Lebensraum miteinander verquicken.
Ottbergener und Godelheimer Männer, Frauen und Kinder - möglicherweise auch Hunde, Katzen und Kanarienvögel - leiden seit Jahren unter dem Verkehr, der tagtäglich durch beide Orte donnert und der durch die Lkw-Maut noch sehr viel intensiver geworden ist. Sie alle sehnen sich nach nach der B64/83 n. Was liegt da näher, als beiden zu helfen: Molchen wie Menschen.
Aber: In der Politik müssen Prioritäten gesetzt werden. Im Fall des Baus der B64/83 n heißt das: erst der Molch, dann der Mensch. Die rot-grüne Bundesregierung hat den Bau der Umgehungsstraße zwar ganz oben auf die Liste gesetzt, diesen Bau aber an eine Bedingung geknüpft: Erst wenn es den Molchen gut geht, darf die Bundesstraße gebaut werden. Dabei darf man nicht vergessen, dass die neue »B« den schwindenden Lebensraum der Kammmolche keinesfalls bedrohte. Der bliebe von dem Bau weitgehend unberührt. Aber auch für Molche scheint es sich auszuzahlen: Wer zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist oder auch nur in dessen Nähe, der hat gewonnen.
So bleibt der Stadt Höxter nun nichts anderes übrig, als den scheuen Amphibien einen Ersatzlebensraum einzurichten. Da werden kleine Tunnel gebaut, damit die Tiere in ihrer neuen Heimat sich auch einander besuchen können, es werden Steinhaufen aufgeschüttet, denn irgendwo muss so ein Kammmolch ja auch wohnen. Mit 80 000 Kubikmeter Material wird eine Flachwasserzone in einem Teich hergerichtet, zusätzliche fischfreie Teichlein sollen zudem dafür sorgen, dass es dem Kammmolch so richtig gut geht. Und erst wenn das der Fall ist, dann gibt es die B64/83 n.
Nichts gegen Kammmolche, aber: Wo bleibt der Mensch? Wer denkt an die Menschen, die mit Recht seit mittlerweile 40 Jahren eine Umgehungsstraße wollen? Wer denkt an die Kinder und die alten Leute, für die die B64 wegen des dichten Verkehrs ein unüberwindbares Hindernis ist? Wer denkt an diejenigen, die nachts nicht schlafen und tagsüber keine Ruhe finden können, weil Pkw und Lkw fast unmittelbar an Ohrensessel, Küchen- oder Schreibtisch vorbeidonnern?
Jedenfalls nicht diejenigen, die sich dabei gefallen, sich Familienpolitik auf die Fahnen zu schreiben und auch nicht diejenigen, die der CDU jüngst im Kreistag »Klientelpolitik« vorwarfen. Liebe rot-grüne Regierung, wo bleibt denn der Sinn für Familie, wenn Molche wichtiger sind? Welche Klientel wird denn da bedient, wenn das Wohl des »Triturus cristatus« vor das des »Homo sapiens« gesetzt wird?
Tatsache ist, dass die Stadt Höxter sich mit den Fakten abfinden muss und gute Mine zum unglaublichen Spiel machen muss, diese »Kröte« schlucken muss - sonst gibt es keine Umgehung. Es bleibt daher ihr auch nichts anderes übrig. Tatsache ist aber auch, dass Molche (noch?) nicht wählen dürfen. Und auch noch etwas scheint in der gegenwärtigen politischen Landschaft von Vorteil: Molch müsste man sein.

Artikel vom 19.03.2005