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Tanz am Rand
des Abgrunds

Musical »Cabaret« in der Paderhalle

Von Thorsten Böhner
Paderborn (WV). »Was habe ich für eine andere Wahl? Das ist nun mal meine Welt!« Fräulein Schneiders Worte sind typisch für die Personen im Musical »Cabaret«, das vom Landestheater Detmold in der Paderhalle aufgeführt wurde.

Da ist der erfolglose amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw, der Ende der 20er Jahre nach Berlin kommt, keine Arbeit findet und desillusioniert beschließt, in seine Heimat zurückzukehren. Seine Geliebte Sally Bowles indes zieht es wieder in ihren Nachtclub. Der Wendehals in Gestalt des Conférenciers - wunderbar aalglatt, pointiert und mit verruchtem Touch verkörpert vom grell geschminkten Manfred Ohnoutka - arrangiert sich mit den wie Parasiten in seinem Club sich ausbreitenden Nazis. Und der jüdische Obsthändler Schulz verweilt trotz Bedrohung in seinem feindlichen Heimatland.
Eine drehbare Bühne zeigt die verschiedenen Orte des Stückes: Zugabteil, Bahnhof, heruntergekommene Pension und den »Kit Kat Club«, wo die Tänzerin Sally ihr Netz um den arglosen Clifford spinnt, in dem auch sie sich verfängt. Clifford haust in der Absteige von Fräulein Schneider. Gaby Blum erweist sich hier als Idealbesetzung. Sie verleiht der Figur mit sparsamen Mitteln große Tiefe. Ihre letztlich zum Scheitern verurteilte Liebe zu Herrn Schulz (Manfred Baum) bildet eine schöne Nebenhandlung.
Die beiden Hauptakteure Göksen Güntel (Sally) und Markus Hottgenroth (Clifford) müssen sich erst warm spielen. Anfangs lodert das Feuer zwischen ihnen auf Sparflamme. Doch im Verlauf der zunehmend leiseren Parts gewinnen Figuren und Handlung an Intensität und Ausdruck. Die schillernde Oberfläche weicht der brodelnden unterschwelligen Bedrohung, und man erkennt die Personen der Szenerie, wie sie wirklich sind: zu schwach, um zu gehen - oder um zu bleiben.
Neben bekannten Melodien wie »Bye bye, mein lieber Herr« und »Money makes the world go round«, die - unterstützt von einer ausgefeilten Choreographie - stimmig vorgetragen werden, bleibt vor allem das vom gesamten Ensemble im wunderbaren Chor gesungene Opus vom Vaterland in Erinnerung, das den unheilvollen braunen Sturm ankündigt.
Seine stärksten Momente hat das Stück, wenn die Akteure schweigen - zum Beispiel als Sally Clifford eröffnet, dass sie von ihm, vielleicht aber auch seinem besten Freund Ernst Ludwig (mit überzeugender Besessenheit agierend: Jan Maak) schwanger ist.
»The show must go on« - auch im Angesicht des Untergangs, und so singt der Conférencier sein Anfangslied »Willkommen - beveneu - welcome« noch einmal. Soldaten mit Helmen und Strapsen musizieren zu einem verzerrten Schlussbild, das zur Farce gerät wie der Krieg selbst.

Artikel vom 18.03.2005