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Flüchtlingsstrom erreicht Versmold

Exklusiv-Serie -ĂŠTeil 3: Judenvertreibung, Evakuation und Fliegerangriffe

Von Dr. Richard Sautmann
Versmold (WB). Das Ende des Zweiten Weltkrieges jährt sich in Kürze zum 60. Mal. Die Geschehnisse in Versmold während des Krieges und vor allem in dessen letzten Monaten und Wochen beleuchtet Stadtarchivar Dr. Richard Sautmann exklusiv für den VERSMOLDER ANZEIGER in einer fünfteiligen Serie. In Teil drei widmet sich Sautmann besonders den Luftangriffen und deren Folgen.

Menschenverachtung prägt den Krieg, dessen ideologische Komponente im städtischen Alltag allerdings kaum erkannt wird. Nur gelegentlich, wie etwa bei der grundlosen Ermordung von Zwangsarbeitern, springt der besondere Charakter des Krieges ins Auge. Auch der Abtransport der Frauen aus der jüdischen Familie Steinfeld am 29. Juli 1942 zählt dazu. Bernhard Steinfelds Schwestern Selma und Alma und die Mutter Julie Steinfeld werden an diesem Tag von Versmold nach Bielefeld und von dort aus nach Theresienstadt deportiert. Sie alle sollten im Holocaust sterben, so wie eine Vielzahl Versmolder Juden mehr, die nicht rechtzeitig hatten fliehen können.
Für die Masse der Bevölkerung jedoch bleibt das Schicksal der rassisch Verfolgten im Dunkel. Für alle erkennbar ist dagegen der unaufhaltsame Niedergang, der sich nach Stalingrad fühlbar einstellt. Frühjahr und Sommer 1943 bringen eine deutliche Zunahme von Evakuierten aus dem Ruhrgebiet und aus Bielefeld, seit dem 13. Juli 1943 wird überschüssiger Wohnraum beschlagnahmt. Am 13. September 1944 erreicht der Zustrom von Evakuierten einen bislang unerreichten Höhepunkt: 2000 Flüchtlinge aus dem zerbombten Aachen erreichen den Versmolder Bahnhof. 800 von ihnen müssen irgendwie in der Stadt untergebracht werden, weitere 1200 im Amt. Hinzu kommen vielfach Kinder zur Kinderlandverschickung, dazu Flüchtlinge aus Bielefeld, das mehr und mehr zum Ziel alliierter Fliegerverbände wird.
Und schließlich wird auch Versmold selbst zum Ziel von Jagdfliegern. Bis Ende 1944 zählt man einige Dutzend Bomben, die auf Versmolder Gebiet niedergegangen sind, doch handelt es sich hierbei eher um zufällige Treffer, von rückkehrenden Bomberverbänden auf freiem Feld platziert. Nun aber wird zielgerichtet geschossen. Am 17. Dezember 1944 findet wohl der erste gezielte Angriff statt, diesmal auf einen Güterzug auf der Strecke Versmold - Müschen. Ein Toter und ein Schwerverletzter sind zu beklagen. Ein Bordwaffenangriff auf den Bahnhof Niediek an Heiligabend 1944 fordert insgesamt vier zivile Todesopfer. Ein weiterer Angriff zu Sylvester verläuft Gott sei Dank ohne Personenschäden.
Der Bahnhof Versmold wird schon zu Neujahr 1945 Ziel eines Bordwaffenangriffes. Die Schüsse gelten Rohöltanks, die aber nur geringfügig beschädigt werden. Am 4. Januar wiederum findet ein Fliegerkampf über Hesselteich statt. Ein kriegsgefangener Russe wird offenbar eher zufällig zum Opfer der Auseinandersetzung. Ein weiterer Bordwaffenangriff auf den Versmolder Bahnhof wird schon am 23. Januar vermeldet, und wieder gibt es Verletzte und erheblichen Sachschaden. Die schwersten Angriffe erlebt das Stadtgebiet im Februar 1945. Bei Angriffen am 13. auf die Firmen Delius und Brüninghaus sterben sechs Zivilisten, zehn weitere werden verletzt. Angriffe durch vier Tiefflieger am 14. Februar, die hauptsächlich auf die Bahn und die Firma Brüninghaus gerichtet sind, fordern gleichfalls Verletzte und verursachen Sachschaden.

Artikel vom 18.03.2005