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Zwangsarbeiter
Opfer der SS

Teil 2 der Exklusiv-Serie zum Kriegsende

Von Dr. Richard Sautmann
Versmold (WB). Das Ende des Zweiten Weltkrieges jährt sich in Kürze zum 60. Mal. Die Geschehnisse in Versmold während des Krieges und vor allem in dessen letzten Monaten und Wochen beleuchtet Stadtarchivar Dr. Richard Sautmann exklusiv für den VERSMOLDER ANZEIGER in einer fünfteiligen Serie. In Teil zwei widmet sich Sautmann speziell der Situation der Zwangsarbeiter.

Spätestens seit Anfang 1945 ist allen einigermaßen klar denkenden Zeitgenossen bewusst, dass der Krieg nun auf die Heimat übergreifen wird. Längst brennen die deutschen Großstädte, und die Alliierten rücken auf die Reichsgrenzen zu. Aber auch die kleinen Landstädte, wie Versmold eine ist, geraten in das Visier des Luftkrieges. Bordwaffenangriffe werden zu einer Landplage, wobei sich die feindlichen Flieger zumeist auf die Schienenwege und die umliegenden Industrieanlagen stürzen. Kurzum, die Ruhe der Kriegsjahre, in denen das Leben an der »Heimatfront« noch langehin einigermaßen ungestört verlaufen ist, scheinen vorüber.
Dabei ist die Heimat lange Jahre vom Krieg verschont geblieben. Bis zum Ende der Schlacht um Stalingrad im Februar 1943 bleiben die Lebensverhältnisse in Versmold einigermaßen stabil. Natürlich gibt es Neuerungen, beständige Altstoffsammlungen durch die Schulen etwa, oder auch Sammelaktionen von Winterbekleidung für die Soldaten an der Ostfront. Hinzu treten Rationierungsmaßnahmen für Alkohol und Tabak, Einschränkungen im Personennahverkehr, und gelegentlich erlebt man Feindüberflüge, die aber im Regelfall keine Schäden verursachen. Erst in der zweiten Kriegshälfte kommt die Bedrohung näher. Vielfach werden nun Splittergräben ausgehoben -Êbeispielsweise im Herbst 1943 in den Schulen -Êund die heimischen Kellerräume verstärkt. Doch zunächst gelten die Feindüberflüge noch als Spektakel, das sich so mancher auf offener Straße und im freien Feld ansieht, um die Angriffe der Bomber etwa auf Bielefeld besser verfolgen zu können.
Ernstliche Probleme bereitet der Mangel an Arbeitskräften. Schon im November 1939 erscheinen die ersten 36 polnischen Kriegsgefangenen, von denen 16 in Oesterweg und 20 in Versmold untergebracht sind. Der ländlichen Struktur des Amtes entsprechend, werden sie zumeist in der Landwirtschaft eingesetzt. Über 200 Russen, 370 Polen und Ukrainer sind in der hiesigen Landwirtschaft beschäftigt. Weitere 122 so genannte »Fremdarbeiter«, die meisten davon aus der Sowjetunion, arbeiten in der Industrie. Neben den zivilen Fremdarbeitern werden 465 Kriegsgefangene gezählt. Insgesamt werden in Versmold mindestens 1210 ausländische Arbeitskräfte aus 14 Nationen beschäftigt. Während des Krieges gibt es eine Reihe von Kriegsgefangenenlagern in Stadt und Amt, in denen mehrere hundert Kriegsgefangene untergebracht sind. Die Masse der zivilen Zwangsarbeiter lebt aber auf den Bauernhöfen selbst.
Das schwere Schicksal der Zwangsarbeiter bleibt lange unbeachtet. Sie werden einer rigiden sozialen Kontrolle unterworfen. Vom nächtlichen Ausgangsverbot bis zum Verbot des gemeinsamen Gottesdienstes, vom Verbot, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, bis zum strikten Verbot sexueller Kontakte zur deutschen Bevölkerung reicht die Palette. Und sie fordert auch in Versmold ihre Opfer. Stanislaw Ciula, ein Zwangsarbeiter, der am 1. Januar 1909 im polnischen Pisarzowa geboren worden war, wird das erste Opfer. Am 6. Januar 1942 wird er in Loxten erhängt, »weil er mit einem deutschen Mädchen geschlechtlich verkehrt« hatte, notiert die Stadtchronik. Ciula bleibt nicht der einzige, der sein Leben lässt. Noch am Karfreitag 1945, nur wenige Tage vor Kriegsende also, ermorden durchziehende SS-Verbände völlig grundlos mindestens zwei weitere Zwangsarbeiter in Versmold. Noch heute erinnern Grabsteine auf dem evangelischen Friedhof an das Schicksal der Zwangsarbeiter.

Artikel vom 14.03.2005