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Altkreis-Ärzte warnen
vor Nebenwirkungen

Verband »Genial« gegen neuen Barmer-Hausarztvertrag

Von Stefan Küppers
Altkreis Halle (WB). Der zum 1. März gestartete neue Hausarztvertrag der Barmer Ersatzkasse stößt auf den entschiedenen Widerstand des hiesigen Ärzte-Netzwerkes »Genial«. Der Verband im Altkreis Halle sprach sich jetzt im Rahmen einer außerordentlichen Vollversammlung einstimmig gegen das Modell aus. Gleichzeitig werden Kunden der Barmer davor gewarnt, ihrerseits den Vertrag zu unterschreiben.

Wie bereits berichtet, können Barmer-Kunden 30 von 40 Euro jährlicher Praxisgebühr einsparen, wenn sie sich vertraglich verpflichten, bei Erkrankungen stets zuerst den jeweiligen Hausarzt und auch stets nur eine bestimmte Apotheke aufzusuchen. Das Ärzte-Netzwerk Genial hat den 55 Seiten langen Vertrag intensiv studiert und kommt zu einer klaren Ablehnung. »Bei der Abwägung von Pro und Contra überwiegen eindeutig die Nachteile«, bekräftigt »Genial«-Sprecher Dr. Wolfgang Kaufhold (Steinhagen).
Dr. Carl-Jörg Schlierkamp, Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren in Halle, hatte den Vertrag aufgrund einer Empfehlung des Hausärzteverbandes sogar zunächst unterschrieben, doch nach näherer Beschäftigung mit der Materie ganz schnell die Vertragskündigung bei der Barmer eingereicht. »Wir sind nicht generell gegen Hausarztverträge. Wohl aber dagegen, wie dieser Vertrag abgefasst ist«, warnt Schlierkamp insbesondere Patienten vor den Nebenwirkungen dieses Vertrages.
Beispiel Generiker: Laut Vertrag muss der Hausarzt immer die preisgünstigsten Generiker verschreiben. Generiker sind Medikamente, für die der Patentschutz abgelaufen ist, die von verschiedenen Herstellern auf den Markt gebracht werden. Obschon die Substanz dieselbe sei, gebe es Qualitätsunterschiede, sagt Dr. Schlierkamp: »Ich möchte weiter die verschreiben, von deren guter Qualität ich sicher weiß.«
Beispiel Scheininnovationen: BEK-Vertragsärzte dürfen keine sogenannten Scheininnovationen verschreiben. Das sind neue Medikamente, die die einen als Weiterentwicklungen, andere als nur scheinbare Innovation wegen gleicher Wirkstoffe bezeichnen. Schlierkamp kritisiert, dass keine unabhängige Kommission, sondern nur die Kasse dies festlegt.
Beispiel Heilmittel: Als gravierenden Nachteil für Patienten wertet »Genial«, dass bei Heilmitteln (z.B. logopädische Verordnungen, Krankengymnastik) möglichst nur noch der Regelfall verschrieben werden darf. Wenn der Arzt dem Patienten mehr Verordnungen verschreiben wolle, werde es ganz schwierig. Passive Heilmittel wie Massagen, Fango etc. sollten gar nicht mehr verschrieben werden.
Beispiel Krankenhäuser: Die BEK, so kritisiert »Genial«, lege den Hausärzten bei einer stationären Überweisung sogenannte Transparenzlisten vor, wonach nur in die aus BEK-Sicht preisgünstigsten Krankenhäuser überwiesen werden darf. Die Ärzte bekämen auch eine Liste mit Operationen, die generell nur noch ambulant durchgeführt werden dürften.
Beispiel DMP: Mit Disease-Management-Programmen sollen chronisch Kranke (z.B. Diabetis, Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit) in den Praxen geschult werden. Das begrüßt auch Schlierkamp. Nur findet er die Rechnung kritikwürdig. So bekommt ein Hausarzt 20 Euro für einen DMP-Patienten und 25,10 Euro, wenn 40 Prozent seiner Patienten von DMP überzeugt werden. Was Schlierkamp ärgert, ist der Umstand, dass die Kasse pro DMP-Patient satte 4000 Euro aus dem Risikostrukturausgleich erhalten soll.
Auf Kritik der »Genial«-Ärzte stößt neben der »sittenwidrigen« Kündigungsfrist (frühestens zum Jahresende 2006, dann drei Monate zum Jahresende) auch die gesonderte Fortbildungsverpflichtung der BEK-Vertragsärzte. Obwohl Hausärzte bereits viele Fortbildungen von der Kassenärztlichen Vereinigung oder Ärztevereinen besuchten, solle man vier Mal im Jahr Fortbildungen bei einem von der BEK bestimmten Institut belegen. Schlierkamp: »Mir wird die Freiheit genommen, wie und von wem ich mich weiterbilden lassen will.«
Unter Strich fürchten er und seine Kollegen, dass die Kassen sich bestimmte Ärzte heranziehen und den Rest aussortieren wollen. So werde die freie Arztwahl massiv eingeengt. Schlierkamp: »Da wird nach dem Motto verfahren: Alle Macht den Kassen.«

Artikel vom 09.03.2005