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Cousins unter den Gefallenen

Erinnerungen von Irene Martens

Oppenwehe (WB). Düstere Erinnerungen kehren in diesen Tagen bei den Menschen zurück, die 1945 in den deutschen Ostgebieten unter dem Einzug der Roten Armee litten. Betroffen war auch Irene Martens, geborene Kuhn, aus Oppenwehe (72). Für die STEMWEDER ZEITUNG hat sie ihre Erinnerungen aufgeschrieben.

»Der Krieg ging weiter. Siege über Siege der deutschen Wehrmacht wurden gefeiert. »Polen, Frankreich, Italien - heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt«. Das war Hitlers Devise. Ob Alt oder Jung, die Männer wurden für den Krieg eingezogen. Man nannte dies Stellungsbefehl. Wer sich widersetzte, wurde als Vaterlandsverräter degradiert und dementsprechend behandelt. Strenge Gesetze waren an der Tagesordnung und wurden auch ausgeführt.
Am 16. April 1941 starb in Folge eines Schlaganfalls mein Opa Wilhelm Kuhn. Er wurde 75 Jahre alt. Schweren Herzens haben wir ihn zu Grabe getragen.
Am 22. Juni des selben Jahres, es war ein sonniger Sonntag, da erzählten unsere Eltern von einem Kriegsanfang gegen Russland. Es herrschte betrübte Stimmung, die auch uns Kindern auffiel. So nahm alles seinen schrecklichen Lauf. Familienväter und junge Soldaten fielen im Krieg. Überall war tiefe Trauer.
Am 10. September 1943 wurde mein jüngster Bruder Manfred geboren. Ein freudiges Ereignis für unsere ganze Familie.
Amerikanische und englische Bomber griffen große Städte an. Munitionslager, Bahnhöfe und öffentliche Gebäude waren die Angriffsziele. Der Bombenterror nahm kein Ende. Teilweise bestanden die Städte nur noch aus Ruinen, und tausende Menschen kamen in Luftschutzkellern um.
Bis dahin waren wir vom Bombenkrieg weitestgehend verschont geblieben. Es gab Lebensmittelkarten und jeder bekam nur das notwendigste an Lebensmitteln zugeteilt.
Zum satt Essen war vor allem in den Städten nicht genug da. Um Kartoffeln und Brot oder Speckschwarte zu bekommen, wurde aus Not gehamstert. Wir waren, wie man es damals nannte, Selbstversorger. Unser Papa Erich brauchte nicht in den Krieg, da er in seiner Jugend lungenkrank gewesen war und einen Schaden davon zurückbehalten hatte.
Inzwischen waren die deutschen Soldaten weit in Russland einmarschiert. Ein strenger Winter und die russische Armee schlugen die deutschen Soldaten zurück. Deutsche Stellungen gingen verloren. Mit großen Verlusten der 6. Armee musste auch Stalingrad aufgegeben werden. Unter den Gefallenen war auch mein Cousin Gerhard Blietschau (Gastwirtschaft). Mein Cousin Bruno Dobrick fiel auf der Halbinsel Krim. Bei einem Abwehrkampf über Mannheim starb auch Ritterkreuzträger Helmut Weinreich, der Sohn unseres Hauptlehrers Wilhelm Weinreich.
Viele Väter und Brüder meiner Mitschüler und Mitschülerinnen verloren im Krieg ihr Leben. Angst und Schrecken über den weiteren Verlauf des Krieges breiteten sich unter allen Menschen aus. Im Herbst 1944 hörte man, dass die russische Armee an der Grenze Ostpreußens sei.
Beim Rückzug der deutschen Soldaten wurden viele von ihnen von der russischen Armee gefangen genommen. Man brachte sie in Gefangenenlager, in den Ural oder nach Sibirien in die Bergwerke zum Arbeiten. Dort sind viele dem Hunger, Typhus oder anderen Entbehrungen zum Opfer gefallen. Von vielen dieser Soldaten hat man nie wieder etwas gehört und sie gelten als vermisst.«

Artikel vom 10.03.2005