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Muss Opa für den Enkel zahlen?

Unterhaltspflicht im Scheidungsfall - Was können Großeltern tun?

Von Christian Klein
Kreis Herford (HK). Immer mehr Menschen brauchen Hilfe zum täglichen Leben, unverschuldet, aufgrund von Altersbeschwerden, Krankheit oder Kindererziehung. Was bedeutet das für die Familien? Zum Beispiel bei den MeierÕs von Nebenan: Deren Sohn hat das Abitur bestanden, eine Lehrstelle gefunden und wurde anschließend übernommen. Er heiratet und nach und nach kommen die Enkelchen. Das Familienglück scheint perfekt; die Großeltern, beide nach hartem Arbeitsleben, kurz vor der Rente, freuen sich und kaufen ein Wohnmobil, mit dem sie durch die Lande reisen wollen. Vielleicht sogar mit Enkelkind?

Doch dann kommt alles ganz anders: In der Ehe des Sohnes kracht es. Man trennt sich, vielleicht sogar Scheidung? Und der Sohn sieht sich Unterhaltsansprüchen ausgesetzt, die er nicht zu bezahlen weiß. Er weicht aus. Er verdient nur noch so wenig, dass er nichts mehr zahlen muss und arbeitet nur noch für seinen eigenen Lebensunterhalt. Das gefällt den Großeltern natürlich nicht, zumal das Familienleben hin ist. Ihre Enkel sehen sie gar nicht mehr, weil natürlich die Schwiegertochter voller Zorn ist. Das ist bitter.
Aber: Die Überraschung flattert den Großeltern eines Tages per Post ins Haus: Das Jugendamt fordert sie höflich, aber bestimmt, auf, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen zu legen. Und man möge doch bitte zahlen für die Enkelchen, und zwar schlappe 440 Euro im Monat; bald genauso viel für die Schwiegertochter, denn die kann schließlich wegen der Kinder nicht arbeiten.
Die Großeltern suchen daraufhin einen Rechtsanwalt auf, mit dem sie die Angelegenheit besprechen. Und der erklärt ihnen die gesetzlichen Hintergründe und was es mit der Forderung des Jugendamts auf sich hat:
1. In Deutschland sind gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Das setzt natürlich entsprechende Leistungsfähigkeit auf der einen sowie Bedürftigkeit auf der anderen Seite voraus. Typisch, allgemein bekannt und akzeptiert ist der Fall, dass Eltern ihre Kinder großziehen, was einen beträchtlichen finanziellen Aufwand erfordert. Natürlich haben die Kinder insoweit einen Anspruch gegen ihre Eltern.
Das weiß auch jeder, der Kinder in die Welt setzt - oder sollte es wissen. Doch müssen auch Oma und Opa für die Enkelkinder zahlen, die sie nicht sehen und zu denen sie auch keinen Anspruch auf Kontakt haben?
2. Wie kommt es dazu, dass gerade die Sozialleistungsträger die Forderungen geltend machen? Die Unterhaltsansprüche bestehen nur zwischen Verwandten in gerader Linie. Geschwister unterein-ander, Verschwägerte und Stiefeltern/-kinder sind davon ausgenommen. Nur der Ehegatte - der in Deutschland nicht als Verwandter gilt - hat prinzipiell eigene Unterhaltsansprüche.
Aber die Behörden können in gesetzlich bestimmten Fällen diese Ansprüche auf sich überleiten, wenn sie gegenüber dem bedürftigen Unterhaltsberechtigten soziale Leistungen erbringen. Diese Vorschriften gibt es schon seit langem. Nun leben wir in Zeiten leerer öffentlicher Kassen, und die Behörden nutzen diese Instrumente des mehr als 100 Jahre alten Bürgerlichen Gesetzbuches. Problematisch ist, dass nur die wenigsten sich für den Fall der Bedürftigkeit eines Familienmitglieds (mit dem man unter Umständen gar nichts mehr zu tun hat) eingerichtet haben.
3. Was können die Großeltern nun unternehmen, um sich vor der Inanspruchnahme durch das Jugendamt zu schützen? Das Jugendamt konnte natürlich nur deshalb auf die Großeltern zugreifen, weil der Sohn leistungsunfähig war. Die Großeltern waren daher das nächste Glied in der »Unterhaltskette«. Sie sollten zahlen, obwohl sie ihre Enkelkinder nicht mehr zu Gesicht bekamen. Das Jugendamt klagte vor dem zuständigen Amtsgericht. Glücklicherweise konnten sich die Großeltern auf den ihnen zustehenden Selbstbehalt berufen. Die Oberlandesgerichte haben für diese Fälle Unterhaltsleitlinien vereinbart. Danach stehen Großeltern Freibeträge in Höhe von jeweils 1000 Euro im Monat zu. Ursprünglich lagen sie mit ihrem Einkommen auch weit über dieser Grenze, so dass sie hätten zahlen müssen. Das Jugendamt setzte sogar fiktive Mieteinnahmen für das Wohnmobil der Großeltern an, da es das als Zweitwohnung (!) betrachtete.
Aber kurz nach Inanspruchnahme durch das Jugendamt gingen die Großeltern in Rente, wodurch sich ihre Einkommen so stark verringerten, dass ihre Einkommen unter die Freibeträge fielen. Sie sind noch einmal glimpflich davongekommen.
4. Kann man sich schon im Vorhinein gegen die Inanspruchnahme durch andere Verwandte bzw. die Behörden schützen? Ein präventiver Schutz durch Vereinbarung eines Unterhaltsverzichts ist nicht möglich Das Bürgerliche Gesetzbuch ist in dieser Hinsicht sehr streng und erklärt jedwede Vereinbarung in dieser Hinsicht für nichtig. Lediglich der Ehegattenunterhalt ist noch durch Ehevertrag beschränkbar. Allerdings sind auch hier nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom letzten Jahr die Grenzen eng gesteckt. Wichtig ist vor allem, sich frühzeitig auf Fälle wie den oben geschilderten einzurichten. Selbstgenutztes Wohneigentum und darauf ruhende Belastungen machen die eigene Vermögens- und Einkommenssituation weniger angreifbar als Bares auf dem Konto. Außerdem gibt es zwischen den verschiedenen Verwandtschaftsgraden unterschiedliche Selbstbehalte, die bei streitiger Auseinandersetzung zu beachten sind. Und nicht jede staatliche Leistung führt gleich dazu, dass Verwandte in Anspruch genommen werden können. Hier kommt es auf den Einzelfall an, über den es mit dem Anwalt bei ersten Anzeichen zu sprechen gilt.

Artikel vom 12.03.2005