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Als Werther wichtige Zigarrenstadt war

Hans Herfurth erinnerte beim »Kamingespräch« an ein wichtiges Kapitel der Geschichte

Werther (SKü). Es war ein bedeutendes Stück Wertheraner Stadtgeschichte, das Ende der 80er Jahre quasi in Rauch aufging. Denn im »Fabrik-Schloss« Haus Werther wurde seinerzeit die Zigarrenproduktion endgültig aufgegeben. Welche große Bedeutung die Zigarrenindustrie für Werther im 19. und 20. Jahrhundert hatte, das beleuchtete in einem interessanten Vortrag im Haus Tiefenstraße der ehemalige Zigarrenfabrikant Hans Herfurth.

Altbürgermeister Heinrich-Wilhelm Rüter, der die Reihe »Kamingespräche« leitet, freute sich über ein »volles Haus«. Denn die alten Wertheraner können sich noch gut daran erinnern, als die Väter und Großväter noch mit Genuss den blauen Dunst in die gute Stube bliesen und die Zigarre für viele Lohn und Brot bedeutete.
Hans Herfurth erläuterte in einem geschichtlichen Abriss, dass die Anfänge der Zigarrenproduktion in Werther im 19. Jahrhundert für viele Familien den Weg aus der Not wies. Denn mit der Einführung der Spinn- und Webmaschinen waren die Zeiten des alten Leinewebers bald vorbei, große Armut machte sich auch in Werther breit. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Zigarren und die Firmen mussten aufs Land gehen, um die Produktion in Heimarbeit zu vergeben. Zwischen Werther und Vlotho waren etwa 15 000 Menschen in Heimarbeit für die Zigarrenindustrie tätig.
1862 wurde die Zigarrenfabrik Klockenbrink & Otte gegründet, dort, wo heute die Volksbank steht. Drei Jahre später gründeten 16 sangesfreudige Zigarrenarbeiter den Männergesangverein »Liedertafel«. Um die Jahrhundertwende gab es dann noch die Zigarrenfabriken Rentsch an der Ravensberger Straße, Engelhardt & Biermann in Häger sowie die 1877 in Theenhausen von Weinberg und Lange gegründete Zigarrenfabrik, die nach stetigem Wachstum 1887 ins Haus Werther umzog. All diese Firmen - 1918 gab es hiervon vier größere und 18 kleinere allein in Werther - verkauften Zigarren an Gaststätten oder den Kolonialwarenhandel.
Die Zigarrenfabrik im Haus Werther expandierte mit Filialen in Spenge, Werste und Volmerdingsen und hatte in der Spitze bis zu 400 Mitarbeiter, wie der 82-Jährige berichtete. In den 20er Jahren wurde das Betriebsgebäude an der Schloßstraße aufgestockt. In den 20er Jahren kamen die ersten Wickelmaschinen auf, die ein Vielfaches an Produktivität bescherten. Doch mit Machtergreifung der Nazis 1933 begann bald ein großer technischer Rückschritt für die deutsche Zigarrenindustrie. Denn um Arbeitsplätze zu erhalten, sprachen die Nazis ein Maschinenverbot aus, das erst 1957 aufgehoben wurde.
Hinzu kam in Werther die »Arisierung« der Zigarrenfabrik Weinberg, die jüdische Besitzerfamilie musste 1938 zwangsweise verkaufen. Dieses Unrecht wurde zwar Anfang der 50er Jahre rückgängig gemacht und 1951 im Haus Werther die Zigarrenfabrik Weinberg, Herfuth & Co. gegründet, wobei die Weinbergs 1954 wieder ausstiegen. Doch der Start nach dem Kriege, so erinnerte sich Hans Herfurth, war denkbar schlecht. Die »Ami«-Zigarette trat ihren Siegeszug an und die Zigarre für Genießer mit Muße wurde immer weiter zurückgedrängt. Die Zigarrenfabrik im Haus Werther war damals ein kleines, mittelständisches Unternehmen, das mit 20 Sorten die mittleren und höheren Preislagen (30 bis 80 Pfennige pro Zigarre) bediente.
1966 wurde die alte Firma schließlich liquidiert und stattdessen in Werther für die größte holländische Zigarrenfabrik »Willem II« der Deutschlandvertrieb übernommen. Hans Herfurth erinnerte an Imagekampagnen, als einmal auch in der Kreissparkasse Werther die »größte Zigarre der Welt« ausgestellt wurde. Die war 3,80 Meter lang, wog 110 Kilo und in ihr waren etwa 15 000 Tabakblätter verarbeitet. 1988 schließlich verlegte »Willem II« seinen Sitz nach Bünde und damit endete auch Werthers Zigarrengeschichte. Aus diesem Ende jedoch wurde ein neuer Anfang gewonnen - der von Stadtbibliothek und Bürgerbegegnungstätte im Haus Werther.

Artikel vom 09.03.2005