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Grüne zu Änderungen bereit

Antidiskriminierungsgesetz: Experten warnen vor Missbrauchsgefahr

Berlin (dpa). Im Streit über das Antidiskriminierungsgesetz haben die Grünen begrenzte Kompromissbereitschaft signalisiert. »Wenn es Vorschläge gibt, wie man die Regelungen verbessern kann, werden wir uns dem nicht entziehen, aber wir stehen für das Ziel der Antidiskriminierung«, sagte der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer.

Das Gesetz sei »kein grüner Sonderwunsch, sondern ein gesellschaftliches Anliegen«, sagte er.
Experten äußerten sich in einer Anhörung im Bundestag gestern gegensätzlich zu den Gesetzesplänen. Die schroffe Kritik der Wirtschaft wurde von den wenigsten Juristen geteilt, viele hielten allerdings den rot-grünen Entwurf für verbesserungswürdig. Union und Wirtschaftsverbände forderten die Koalition auf, die Gesetzesvorlage zu entschärfen. Mit dem Gesetzentwurf will Rot-Grün EU-Richtlinien in nationales Recht umsetzen. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierungen im Arbeits- und Zivilrecht wegen des Alters, der Religion, wegen ethnischer Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung zu verbieten.
Sibylle Raasch von der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik bewertete den Entwurf als einen großen Schritt nach vorn. »Um in Deutschland eine Kultur der Antidiskriminierung zu fördern, bedarf es gesetzlicher Regelungen.« Die von Kritikern befürchtete Prozessflut nannte sie übertrieben.
Professor Peter Derleder (Bremen) sah Deutschland bei der Umsetzung der Richtlinie im beträchtlichen Rückstand. Der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Heiner Bielefeld, sagte, Diskriminierungen seien alltägliche Realität. Die Schaffung von Rechtsmitteln dagegen sei eine Aufgabe des Menschenrechts.
Der Heidelberger Rechtsprofessor Thomas Pfeiffer lehnte die Vorlage hingegen ab, weil die Gesetze zu tief in die Vertragsfreiheit eingreifen würden. »Der Gesetzentwurf ist von einer unbarmherzigen Radikalität gekennzeichnet.« Die Rechtsanwältin Andrea Nicolai kritisierte den Entwurf, weil er zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthalte. Sie befürchtete Missbrauch bei den Entschädigungsregeln. Alles werde den Gerichten überlassen.
Der Deutsche Anwaltverein kritisierte den Entwurf als undurchdacht. Das Gesetz führe durch die Hintertür eine Beschränkung der Vertragsfreiheit ein. So könnten Vermieter gezwungen werden, einen Vertrag mit einem ungewollten Mieter zu unterzeichnen.
Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels unterstrich, es sei der falsche Weg, Diskriminierungen durch einen Wust von bürokratischen Vorschriften bekämpfen zu wollen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks kritisierte, der Entwurf bringe für kleinere Betriebe unkalkulierbare Risiken.
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat eine Korrektur des Koalitionsentwurfes verlangt. »Die Städte und Gemeinden wären nach Umsetzung des Entwurfes insbesondere in ihrer Rolle als Arbeitgeber von 1,5 Millionen Mitarbeitern zu einem erheblich ansteigenden bürokratischen Aufwand gezwungen«, sagte Geschäftsführer Gerd Landsberg. Drohende Haftungsrisiken seien »kaum beherrschbar«.
Der Gewerkschaftsbund bewertete hingegen den Entwurf als die fällige Umsetzung der EU-Richtlinien. Das Gesetz sei dringend notwendig, um auch in Deutschland einen europäischen Mindeststandard beim Schutz vor Diskriminierungen zu verwirklichen.

Artikel vom 08.03.2005