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Mit Bomben beginnt das letzte Jahr

Exklusiv-Serie im VERSMOLDER ANZEIGER: Stadtarchivar schreibt zum Kriegsende vor 60 Jahren

Von Dr. Richard Sautmann
Versmold (WB). Der Krieg rückt immer näher auf Versmold zu -Êdie Normalität im täglichen Leben schwindet zusehends in der Fleischstadt heute vor 60 Jahren. Exklusiv für den VERSMOLDER ANZEIGER beleuchtet Stadtarchivar Dr. Richard Sautmann in einer fünfteiligen Serie die Geschehnisse in Versmold während des Zweiten Weltkrieges und vor allem in dessen letzten Monaten und Tagen.

1. Januar 1945: Das neue Jahr beginnt mit herrlichem Sonnenschein, der den bitterkalten Tag in hellem Licht erstrahlen lässt. Alles scheint wie gewohnt, ja fast friedlich. Um 10 Uhr beginnt der Gottesdienst in der Petrikirche, gegen 11 Uhr treffen sich die männlichen Kirchgänger in den umliegenden Gastwirtschaften, während die Hausfrauen heimwärts streben, um das Mittagessen vorzubereiten. Man ist noch zufrieden stellend versorgt, denn die Lebensmittelzuteilungen bleiben bis Kriegsende einigermaßen reichlich. Außerdem hat noch jedermann seine privaten Vorräte, so dass von Mangel kaum zu sprechen ist. Kurzum, Versmold macht einen beinahe friedensmäßigen Eindruck in diesen Tagen. Und nur wer genau hinsieht, kann Merkwürdiges entdecken. Zum Beispiel sind fast ausschließlich ältere Männer auf den Straßen. Die jungen Männer sind längst eingezogen, und hunderte von ihnen haben zu diesem Zeitpunkt ihr Leben an den Fronten in Ost und West lassen müssen.
Der Krieg bestimmt das Tagesgespräch, und mit jedem Tag rückt er näher an Versmold heran. Seit Anfang November sind die älteren Männer und die Jugendlichen gleichermaßen in den Volkssturm eingereiht worden. Seither wird regelmäßig im Stadtpark geübt -Êfür den Endsieg, an den zu glauben mittlerweile schwer fällt. Noch eine Woche vor Neujahr, am 23. Dezember 1944, ist dann der erste Sturm, die angeblich »unbeschränkt Tauglichen«, zum Schanzen an den »Westfalen-Wall« nordwestlich von Münster ausgerückt. Nachbarn, Verwandte und Freunde, alte Herren und Jungs von knapp 16 Jahren sind darunter, deren weiteres Schicksal noch schwer genug werden würde.
Die seither vergangene Woche hatte für weitere Unruhe gesorgt: Am Heiligabend, mittags um kurz vor eins, greifen feindliche Jäger den Personenzug Nummer 17 auf dem Bahnhof Niediek an. Vier Todesopfer sind insgesamt zu beklagen. Am Sylvestertag wird der Bahnhof an der Grenze zu Greffen erneut Ziel eines Angriffs, bei dem Gott sei Dank niemand verletzt wird. Aber eines ist klar: Der Krieg bricht mit Macht in den Alltag der Versmolder ein, und niemand weiß, wann und wo er erneut zuschlagen wird.
Tatsächlich vergehen nur noch Stunden bis zum nächsten Angriff. Es ist gegen halb drei am Nachmittag als sich ein leises Dröhnen am Horizont bemerkbar macht, das rasch lauter wird. Alliierte Jagdflugzeuge schießen auf Versmold zu. Ihr Ziel ist der Bahnhof, auf dem an diesem Tag einige mit Rohöl randvoll gefüllte Tanklastzüge geparkt sind. Kaum in Schussweite angelangt, eröffnen die Jäger das Bordwaffenfeuer. Wild schießen die Kugeln auf die Tankwagen nieder, allerdings ohne allzu viel Schaden anzurichten.
Doch damit ist der Angriff noch nicht vorüber. Als nächstes werfen die Jäger ihre Sprengbomben ab, vier Stück an der Zahl. Volltreffer können sie allerdings nicht landen. Allein einige Fensterscheiben in den umliegenden Häusern gehen zu Bruch. So beginnt der erste Tag im letzten Jahr des Zweiten Weltkrieges in Versmold.

Artikel vom 04.03.2005