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Vom Holocaust nichts gewusst

Zeitzeuge Werner Husemann diskutiert mit Schülern über NS-Film »Jud Süß«

Von Amrei Horstbrink
Gütersloh (WB). »Damals an der Ostfront ging es um Leben und Tod. Da wollte von Ideologie keiner was wissen«, berichtet Werner Husemann. Gerade hat der 92-Jährige zusammen mit Schülern aus dem Kreis Gütersloh im »Bambi«-Kino den NS-Propaganda-Film »Jud Süß« gesehen. Die Vorführung des indizierten Films ist im Rahmen eines Kinoseminars möglich, bei dem das Gezeigte vor- und nachbereitet wird. Nun lauschen die Schüler gebannt den Berichten des Zeitzeugen.

»Was für eine Fülle an Erlebnissen sind seitdem an einem alten Knaben wie mir vorbeigegangen«, bemerkt Husemann. Vieles sei ihm nur noch undeutlich vor Augen, so auch der Inhalt des Films, den er 1941 zum ersten Mal sah. Der Film stellt das Leben des Joseph Süß Oppenheim, der tatsächlich Anfang des 18. Jahrhunderts in Deutschland lebte, in verfälschender Weise dar. Das Klischee des raffgierigen, hinterhältigen und bösartigen Juden wird dabei in jeder Weise bedient. Das von Goebbels 1940 in Auftrag gegebene Werk spiegelt somit die menschenverachtende Ideologie des Nazi-Regimes wieder.
Über die eindeutig antisemitischen Tendenzen wurde 1941, als Husemann den Film zusammen mit anderen Soldaten im Frontkino sah, jedoch nicht diskutiert. Seine Einheit stand kurz vor dem Russlandfeldzug. »Die Soldaten wollten Heimatkino sehen und keine ideologisch überfrachteten Filme«, erzählt der Zeitzeuge. Um den Schülern den Druck greifbar zu machen, der auf den Soldaten lastete, erwähnt Husemann, dass von den 800 Bielefeldern seiner Infanterie nur 48 zurückgekehrt seien. Betretenes Schweigen.
Ob er denn von den Vernichtungsplänen Hitlers nichts mitgekriegt habe, will ein Schüler von dem ehemaligen Leutnant wissen. Bei diesem Thema ist Husemanns Betroffenheit deutlich zu spüren. »Die Wörter ÝHolocaustÜ oder auch ÝEndlösungÜ, von denen haben wir nie etwas gehört. Erst nach Kriegsende kam das alles raus.« Es liegt ihm am Herzen, dass die Jugendlichen ihm diese Beteuerung glauben.
Die Schüler sind bei den Ausführungen des Mannes, der die Ereignisse, die sie nur aus dem Geschichtsunterricht kennen, selbst miterlebt hat, ganz Ohr. Die gezielten Fragen zeigen, dass sie sich zuvor intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben.
Zudem hat der Medienwissenschaftler Manfred Rüsel eine Einführung in die Problematik des Films gegeben. »25 Millionen Zuschauer hatte der Film zur damaligen Zeit. Das sind mehr als bei ÝTitanicÜ«, so Rüsel. Anschließend erläutert der Experte die filmischen Mittel, mit denen in »Jud Süß« Juden stigmatisiert werden. Unumwunden bemerkt er, beim Einzug in die Stadt würden die Juden dargestellt wie eine »Schar von Pennern«. Seine Art kommt bei den Jugendlichen gut an.
Werner Husemann ist am Ende beeindruckt von der Aufmerksamkeit und dem regen Interesse der Schüler. Doch er gesteht: »Während des Films habe ich mich gefragt, wie kann das einen jungen Menschen interessieren?«

Artikel vom 02.03.2005