05.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»E-Farming« sorgt für
effektive Landwirtschaft

Bielefelder Unternehmen nutzt moderne Satellitentechnik

Von Michael Diekmann
Bielefeld (WB). »Präzise Landwirtschaft fängt mit präzisem Fahren an«, sagt Dr. Michael Quinckhardt. Auch wenn der studierte Landwirt damit weniger den Umgang mit Kupplung und Gas auf dem Führerstand des Schleppers meint als vielmehr das optimale Zusammenspiel von Ökologie und Ökonomie, von wirtschaftlicher und effektiver Feldbestellung. Das Geheimnis heißt GPS - Satelliten-gesteuerter Navigation. Quinckhardt ist Geschäftsführer der A-grocom GmbH & Co. Agrarsysteme KG.

Landwirtschaft steht 2005 nicht mehr für das Klischee von Karre, Gummistiefeln und Forke. Und industrielle Landwirtschaft hat auch nicht gleich etwas mit Tierquälerei und Raubbau an der Natur zu tun. Im Gegenteil: Auch auf großen Flächen kann man sehr bewusst und ökologisch fundiert mit Rohstoffen und Düngemitteln, Saatgut und Treibstoff umgehen. Stichwort »Überlappung«: Agrocom sieht in der Parallelfahr-Technologie ein zentrales Thema und sorgt dafür, dass die Spurüberlappungen zwischen der Hin- und Rückfahrt möglichst gering ausfallen. Ohne den Kollegen Computer und das Navigationssystem, sagt man bei Agrocom, liegt die Spurüberlappung bei etwa sieben Prozent: Hier ergibt sich ein ökonomisch wie ökologisch bedeutsames Einsparpotenzial an Dieselkraftstoff, Maschinenkosten und Pflanzenschutzmittel. Und die Entwickler bei Agrocom in Bielefeld sind ehrgeizig: Man möchte Landwirten ein System an die Hand geben, das ihnen hilft, die Überlappungen zu reduzieren bis zu einer Größenordnung von etwa 15 Zentimetern und darunter.
Gegenwärtig nutzen in Deutschland bereits 25 000 Landwirte das so genannte E-Farming. Die Ursprünge gehen auf 1982 zurück. Damals waren Jürgen Klöpper und Reinhard Wiege mit einem Agrarsystemhaus tätig. Parallel beschäftige sich seit Anfang der 90er Jahre beim Landmaschinenbauer Claas eine Fachgruppe mit der Frage, wie man die Erträge optimieren kann. Genau in diese Entwicklungs- und Überlegungsphase kam die GPS-Technik, die moderne Satellitentechnik, mit der heute Navigationssysteme im Auto ebenso zielsicher arbeiten wie die Rechner von Vermessungsingenieuren, Flugzeuge heute ebenso sicher ihr Ziel finden wie Radfahrer und Wanderer. Softwarespezialisten und Agraringenieure arbeiten zusammen mit dem Ziel, die geographischen Koordinaten für verschiedene Verfahrensabläufe zu nutzen.
Seit 1998 ist die Agrocom GmbH & Co. eine eigenständige Firma. Genau 87,5 Prozent der Anteile gehören Claas, der Rest ist in Privatbesitz. Am Firmensitz in Bielefeld arbeiten für Agrocom 40 Spezialisten, dazu kommen vier Verkaufsbüros und eine Tochter in den neuen Bundesländern mit 24 Mitarbeitern. Freie Fachhändler, teilweise auch selbst praktizierende Landwirte, beraten die Kunden vor Ort, sorgen für die optimale Systemlösung eng am Kundenproblem, befassen sich mit Hard- und Software und unterstützen das für die Landwirte heute so wichtige Datenmanagement mit entsprechendem Knowhow. In Deutschland, Österreich, Polen und Ungarn ist Agrocom gut im Rennen, großes Entwicklungspotenzial sehen die Bielefelder auf den Großflächen in den neuen Mitgliedsländern der Europäischen Union.
Wer sich mit Michael Quinckhardt unterhält, spürt schnell die Faszination des E-Farmings. Ebenso schnell wird aber auch deutlich, wie weit die Möglichkeiten der modernen Kommunikationstechnologie und Datenverarbeitung bereits gehen, obwohl die Branche nach eigenen Angaben doch erst am Anfang steht.
Möglichst viele, möglichst genaue Informationen zusammenzutragen, um Einsparpotenziale und Produktionsverbesserungen zu identifizieren, ist dabei das Hauptmotiv der Landwirte, die sich heute wie jedermann um das Thema Wirtschaftlichkeit kümmern müssen. Der fröhliche Landmann schreitet längst nicht mehr nur mit der Sähtasche über das Feld, sondern hat oft seinen Palm immer dabei. Der Kleincomputer ist das Bindeglied zwischen Ortsbegehung und Festcomputer im Büro. Der Palm, dieses kleine, mobile Notebook von der Größe einer Schreibkladde, steckt auch im Fahrerhaus des Schleppers, wenn der Landwirt seine Arbeit beginnt.
Modernes Flächenmanagement, sagt man bei Agrocom, fängt natürlich im Computer an. Der kennt jeden Ackerrandstreifen, jede Bauminsel oder Zuwegung in der Feldkartierung. Mehr noch: Dank Agrocom-Software kennt der Computer sogar die Ernteerträge der vergangenen Saison, kann im Zusammenspiel mit der ebenfalls gespeicherten benötigten Düngermenge und den Wetterdaten direkte Rückschlüsse auf Standort, Wirtschaftlichkeit und Verbesserungsmöglichkeiten schaffen.
Michael Quinckhardt präsentiert Fotos vom so genannten Crop-Meter, dem Pendelsensor. Mit den Wissenschaftlern des Instituts für Agrartechnik in Bornim hat man das Gerät entwickelt, das mittels eines Pendels vor der Frontpartie des Schleppers die relative Bewuchsdichte des Getreidefeldes ermittelt und an einen Bordrechner weitergibt. Der wiederum entscheidet direkt während der Fahrt, welche Düngermenge anschließend am Heck des Schleppers auf die Halmreihen gegeben wird.
Wer sich selbst häufiger mit Computerfragen beschäftigt und etwas Fantasie mitbringt, mag sich vorstellen, dass es in der Landwirtschaft wohl nichts gibt, was nicht geht. Ehrgeizige Zielsetzung der Wissenschaftler: Immer genauer und immer feinfühliger müssen die Ergebnisse sein. Denn der Wettbewerb wird in der Landwirtschaft immer härter, die ökonomische Komponente ist als Existenzgrundlage immer wichtiger.
Die Zusammenarbeit zwischen Agrocom und Hochschulen erstreckt sich auf viele Bereiche. Man steht in ständigem Dialog, und Agrocom-Entwicklungsleiter Dr.-Ing. Stefan Böttinger übernimmt zum 1. April den Lehrstuhl für Grundlagen der Agrartechnik an der Universität Stuttgart-Hohenheim.
Zu schätzen wissen sollen das Leistungsspektrum von Agrocom schon bald aber auch die Liftbetreiber in den Skigebieten der Alpen. Wenn die Agrocom-Navigation Landwirte exakt in der Furche hält, kann sie auch den Fahrern der Pistenraupen wichtige Dienste leisten, ist sich Quinckhardt sicher. Der begeisterte Hobby-Skifahrer hatte sich mit dem lebensgefährlichen Nachtjob der Raupenfahrer schon länger beschäftigt. Jetzt bekommen die Liftbetreiber im Südtiroler Grödnertal präsentiert, wie exakt man die Pistenverläufe einmessen und per Satellit räumlich lokalisierenkann - natürlich auch wie von Geisterhand hoch oben auf den Dreitausendern.
www.agrocom.com

Artikel vom 05.03.2005