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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrerin Christine Höke


Liebe Leserinnen und Leser!

Neulich habe ich einen von diesen großen Müllcontainern gesehen, überquellend, kein schöner Anblick; aber auf der freien Fläche hatte sich ein Spraykünstler verewigt: »Ich liebe dich!« Diese Worte machten den Container nicht wirklich schöner, aber die Botschaft war klar. Liebe will raus, will sich äußern, will sich zeigen. Das war kein gelangweiltes Geschmiere, da steckte Leidenschaft dahinter.
Ich stelle mir einen Jungen vor, der genau weiß: zweimal am Tag kommt ein ganz bestimmtes Mädchen auf dem Schulweg genau hier vorbei und liest diesen einen Satz. Ob sie weiß, dass sie gemneint ist? Ob sie dann an ihn denkt? Und wird sie das auf dem Weg zur Schule fröhlich machen, sie etwas beschwingter weitergehen lassen?
»Passion« bedeutet »Leiden«, aber auch »Leidenschaft«. Wenn wir in diesen Wochen an die Passion Jesu denken, denken wir auch immer an seine Leidenschaft und an Gottes Leidenschaft für die Welt und für uns Menschen. Die Leidenschaft der Liebe, die Jesus dazu bringt, seinen Weg zuende zu gehen bis zum Kreuz. Dass Jesus das tut, ist nicht zwangsläufig, kein von langer Hand inszeniertes Drama, sondern seine freie Entscheidung. Weil er mit seiner Liebe nicht hinter dem Berg hält, weil er sie zeigt mit allen Konsequenzen. Liebe muss sich äußern, Liebe muss raus. Leidenschaft ist nicht billig. Sie kann viel kosten. Manchmal nur die Reinigung eines Müllcontainers, manchmal das Leben.
Im Neuen Testament wird von einer Frau erzählt, die Jesus mit kostbarem Öl salbt, als er kurz vor seiner Verhaftung mit anderen Männern zu Tisch sitzt. Einige von ihnen beginnen sofort mit der Aufrechnerei: Dieses Geld hätte man besser den Armen gegeben.
Jesus ist wirklich ein Freund der Armen, aber hier rückt er in Zeiten der Passion die Maßstäbe zurecht: »Lasst sie in Frieden«, sagt er, »versteht ihr nicht? Sie will mir Gutes tun für mein Begräbnis.« Ein kleiner Liebesdienst wird zum großen Zeichen bis heute.
Liebe lässt sich nicht aufrechnen, nicht in Mark oder Euro und auch nicht in der Währung der Gefühle. Sie braucht Platz (und sei es auf einem Müllcontainer) und sie kann sich auch nicht immer an die Regeln des »Das tut man nicht« halten.
Liebe zeigt sich im Überschuss, und ich bin froh, dass Gott diesen Überschuss an Liebe für uns hat. Das lässt mich beschwingter gehen.
Herzlich, Ihre Christine Höke

Artikel vom 19.02.2005