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»Weniger Zeit für Behandlung«

Franke: Chroniker-Programme bürokratisch - Kasse: bessere Patientenversorgung

Von Bernd Steinbacher
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Krankenkassen sehen in speziellen Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke Vorteile für die Patienten. Ärzte hingegen kritisieren den hohen bürokratischen Aufwand.

So genannte Disease-Management-Programme (DMP) sollen helfen, Über-, Unter- und Fehlversorgung von Patienten zu vermeiden und Kosten zu sparen. »Das eine gute Absicht, aber die Umsetzung ist viel zu bürokratisch«, kritisiert Dr. Klaus Franke von der Gemeinschaftspraxis Dr. Franke, Dr. Flege und Dr. Parensen an der Bahnhofstraße. »Statt Patienten zu behandeln, müssen noch mehr Formulare ausgefüllt werden.«
Zwar seien in einigen Fällen in der Vergangenheit chronisch Kranke nicht optimal behandelt worden, doch in ihrer Praxis sei das, was von den Krankenkassen über die Disease-Management-Programme gefordert werde, bereits schon so gemacht worden. Grundsätzlich sei aber die Idee einer Standardisierung von Diagnose und Therapie im Prinzip richtig, so der Internist, doch diese neue Bürokratie sichere nicht wirklich die Behandlungsqualität. In unqualifizierten Praxen könne ja »einfach irgendetwas« in die Formulare eingetragen werden. Und Dr. Elisabeth Parensen ergänzt: »Der Gesetzestext, der vorschreibt, was zu tun ist, wenn der chronisch Kranke diese oder jene Werte habe, ist bereits wieder veraltet. Neue Forschungsergebnisse werden nicht berücksichtigt.« Wenn die Behandlung zum Wohle des Patienten von der vorgegebenen Richtlinie abweiche, müsse eine ausführliche Begründung abgegeben werden. Das sei wieder ein Mehraufwand.
Ein Beispiel soll die Situation verdeutlichen: Ein Diabetiker wird, wie bisher jedes Vierteljahr behandelt und medikamentös eingestellt. Seitdem er im Chronikerprogramm ist, muss das ausführlich dokumentiert werden. Bei jedem Besuch ist quartalsweise oder halbjährlich ein Formular auszufüllen. Zwar erhalten die Ärzte dafür eine Aufwandsentschädigung von jeweils 15 Euro, doch der tatsächliche Aufwand ist höher. »Wir haben 150 Patienten, die Diabetiker sind. Davon nehmen 80 am Programm teil. Das sind 30 Stunden Mehraufwand für die Bürokratie pro Quartal«, sagte Dr. Franke. Schließlich könne das Ausfüllen eines Formulars bis zu 30 Minuten dauern.
Am meisten ärgert den Mediziner aber, dass Krankenkassen finanziell profitieren - von jedem Patienten, der an einem der Programme für chronisch Kranke teilnimmt. Solche Programme gibt es bisher für Altersdiabetes, koronare Herzerkrankungen und Brustkrebs. »Die Kassen erhalten zwischen 3000 und 5000 Euro pro Patienten. Deshalb will sie möglichst viele Kranke in die Programme bringen«, sagte Franke. Das würde zu Verunsicherungen von Patienten führen, denn die Kassen schreiben jeden an, der aufgrund der Medikamente eventuell chronisch krank sein könne. »Die Kassen drängen uns, Patienten in die Programme zu bringen.«
Trotz aller Kritik beteiligt sich die Praxis an den Disease-Management-Programmen, verpflichtet sich zum Beispiel zur Weiterbildung. »Die findet bei uns ohnehin schon immer statt. DMP ist ein Einstieg in eine Qualitätskontrolle. Und das ist gut«, so Dr. Franke. Bisher werde Qualität nicht honoriert, sondern nur Masse.
Für Qualitätskontrolle ist Dr. Klaus Franke sofort zu haben. 2004 ist die Praxis nach der Norm ISO 9001 sogar zertifiziert worden. Das sei auch ein Anlass gewesen, Strukturen zu durchdenken, um effektiv zu arbeiten. Er kann sich sogar vorstellen, dass bei Kontrollen Patientenakten durchgesehen und die Therapien angeschaut werden. Das sei effektiver, als das aufwändige Ausfüllen zusätzlicher Formulare. »Ein Ärzte-TÜV alle fünf Jahre wäre gut, Wissensstand und Behandlungsmethoden müssten überprüft werden«, sagt der Arzt. Insgesamt sei im teuren deutschen Gesundheitssystem Einsparpotenzial vorhanden, ohne Abstriche für die Patienten.
Jörg Vilmar, Bezirksgeschäftsführer der DAK Schloß Holte-Stukenbrock betont die Vorteile der Programme. »Wer sich bei unseren Gesundheitsprogrammen einschreibt, kann sicher sein, dass der Arzt immer auf dem neuesten Stand ist. Fortbildung ist Pflicht.« Doch auch Patienten sollten aktiv werden, zum Beispiel an Schulungen teilnehmen. Die Patienten werden »richtig geführt«, in Absprache mit dem Vertragsarzt, der eine Dokumentation erstellt, um Behandlungsziele überprüfen zu können. Alle Therapieschritte und die nachsorgende Pflege sollen auf der Grundlage verbindlicher Leitlinien erfolgen. Chronisch Kranke, die sich an den Programmen beteiligen, erstattet die DAK, wie andere Krankenkassen auch, die Praxisgebühr, maximal 40 Euro jährlich, zurück.
Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) weist ebenfalls daraufhin, dass die Beziehung zwischen Patienten und Arzt gestärkt werden soll. Zu den Kosten erläutert Udo Barske, Pressesprecher des AOK-Bundesverbandes, dass die einzelnen Kassen nicht mehr Geld bekommen, sondern über den Risikostrukturausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen die durchschnittlichen Kosten für die Behandlung gerechter als bisher berücksichtigt werden. Ein 67-Jähriger, ganz gleich ob gesund oder krank, wird mit 3000 Euro berücksichtigt. Ein 67-Jähriger Diabetiker, der an einem Disease-Management-Programm teilnimmt, hingegen mit 4300 Euro. Somit ist es im Interesse der Kassen, dass Patienten an den Programmen teilnehmen.

Artikel vom 18.02.2005