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Feldpost nach 63 Jahren zugestellt

WB-Serie »Isselhorster Geschichte(n)«: Briefe wurden bei »Ebay« versteigert

Von Marco Purkhart (Text)
und Wolfgang Wotke (Foto)
Gütersloh-Isselhorst (WB). »Ebay« gilt als schier unerschöpfliche Fundgrube. Das durfte jüngst auch der Isselhorster Henrich Schröder feststellen. Ein aufmerksamer Sammler aus dem Kirchspiel übergab ihm verschollen geglaubte Feldpost von Schröders Familie aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Sie war urplötzlich im Online-Auktionshaus aufgetaucht.

Ihren Weg von der Front in die Heimat haben die Briefe nie gefunden. Stattdessen landeten sie in den Händen eines Ebay-Verkäufers aus Osnabrück, der die Schriftstücke ohne einen für ihn persönlichen Wert wahrscheinlich in einer Kiste als »Massenware« auf dem Flohmarkt erworben hatte. Vor drei Wochen dann erschienen sie erstmals bei »Ebay« in der Kategorie »Sammeln und Seltenes«.
Der spätere Käufer, wie viele im Kirchspiel ein begeisterter Sammler von allem rund um Isselhorst, möchte anonym bleiben. Er sagt nur: »Ich habe die Briefe und Karten für den Schnäppchenpreis von drei Euro bekommen. Sie haben keinen besonderen Wert für mich, sehr wohl aber für Henrich Schröder. Deshalb soll er im Vordergrund stehen.« Schröder kann sein Glück nicht fassen. »Diese Post war doch eigentlich für immer verloren. Und jetzt halte ich sie auf einmal in der Hand.«
Zwei Stücke bedeuten dem 54-Jährigen besonders viel. Sein 1989 verstorbener Vater Gustav Schröder, im Zweiten Weltkrieg in der Veterinär-Kompanie für die Versorgung zuständig, schrieb im Jahre 1942 zwei Grußkarten an seine Mutter Johanne. »Das war meine Oma«, bemerkt Henrich Schröder fast geistesabwesend, während er das erstaunlich gut erhaltene und nur leicht vergilbte Papier in der Hand hält. Mit Bunt- und per Spucke zu aktivierendem Blaustift zeichnete damals jemand auf einer gewöhnlichen Pappe zwei liebevoll detaillierte Ansichtskarten, die die Feldpostnummer 20431 tragen.
Die eine wurde am 3. Mai 1942 abgestempelt, wünscht Frohe Pfingsten und zeigt einen Blick übers Wasser hinweg zu einem Weinberg auf einer entfernten Insel. »Wahrscheinlich Erinnerungen an das schöne Frankreich«, vermutet Henrich Schröder, der weiß, dass sein Vater Gustav zu diesem Zeitpunkt im Zuge des Unternehmens Barbarossa als Unteroffizier am Russland-Feldzug teilnimmt. Die zweite Karte (vom 30. April des selben Jahres) übermittelt Glückwünsche zum Muttertag. Das Motiv ist ein idyllischer See mit Maiglöckchen, über dem eine fliegende Schwalbe einen Brief trägt.
Die geschriebenen Botschaften hingegen sind sehr allgemeine Grüße, nichts Persönliches. Interessant jedoch, dass beide Postkarten innerhalb von nur wenigen Tagen versendet wurden. »Und sie wurden nicht abgefangen, sondern gingen zumindest bis nach Deutschland durch«, stellt Henrich Schröder mehr als 60 Jahre später verdutzt fest. Kurze Zeit später wäre dies wohl nicht mehr der Fall gewesen: Vater Gustav geriet in russische Kriegsgefangenschaft und kehrte erst 1949 als einer der letzten Isselhorster in seine Heimat zurück, wo er den Heimkehrer-Verband mit begründete.
Wenngleich Henrich Schröder die Geschichte seines Vaters persönlich am meisten interessiert, darf auch der Rest der Feldpost nicht unerwähnt bleiben. Am 24. August 1944, also eine ganze Weile später, wurde ein Brief an Großmutter Johanne adressiert. Ein gewisser Fritz Flöttmann schickte ihn aus dem Kriegsgefangenenlager 2618 bei Schwefe im Kreis Soest ab. »Er war ein enger Freund meiner Oma, und wir selber sind heute mit seinen Kindern befreundet.« Gesprächsstoff ist also garantiert beim nächsten Treffen der Schröders und Flöttmanns.
Der vierte und letzte Fund hingegen ist tragisch. Henrich Schröders in Berlin stationierter Onkel Heini sollte Geburtstagsgrüße erhalten, die am 4. April 1942 aus Isselhorst von Werner Schniedermann versendet worden waren. Doch der Absender verstarb am vergangenen Freitag im Alter von 95 Jahren. »Ich hätte Werner seinen Brief so gerne gezeigt. Und da scheidet er nur wenige Tage, bevor ich die Feldpost erhalten habe, aus dem Leben. Das Schicksal kann wirklich gnadenlos sein.« Dennoch wird sich Henrich Schröder in nächster Zeit wieder einmal in seinen Keller begeben, wo er zahlreiche schriftliche und fotografische Hinterlassenschaften seines Vaters Gustav gelagert hat. »Ich möchte nachvollziehen, welche Geschichten sich wohl hinter dieser alten Feldpost verbergen.«

Artikel vom 16.02.2005