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Flucht vor der Front im Munitions-Lkw

Ihren Dienstausweis hat Annemarie Hennig aufbewahrt: Erst hatte sie auf Anordnung der NS-Behörden als Telefonistin gearbeit, dann montierte sie Behelfsmöbel für Ausgebombte, bevor sie Flakhelferin wurde.

Annemarie Hennig: 1945 Flakhelferin in Soest

Paderborn (WV). Als Annemarie Hennig, geb. Heiler (Jahrgang 1925) ihre Schulzeit und eine Lehre zur Handelsgehilfin abgeschlossen hatte, musste sie ihre persönlichen Zukunftspläne zurückstellen - sie wurde dienstverpflichtet. Der NS-Staat forderte ihre Arbeitskraft und ließ sie im Stich, als die Front heranrückte.
»Am 2. Januar 1945 wurden wir in die Flakkaserne nach Dortmund einberufen und von dort nach Soest zur »Schweren Flakbatterie« abkommandiert. Da wir uns mit dem Fernsprechwesen auskannten, wurden meine Kollegin Margret Balke und ich im Gefechtsstand und in der Telefonvermittlung eingesetzt . . . Als die amerikanischen Kampfverbände immer näher rückten, wurden wir am 31. März entlassen und mit Militär-Lkw von Bad Sassendorf nach Hause geschickt (wir saßen auf Munitionskisten: nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn unser Militär-Convoy von Tieffliegern beschossen worden wäre!).
Kurz vor Delbrück hieß es, der Amerikaner sei schon in Paderborn. Also ging es Richtung Detmold. Kurz vor Stukenbrock mussten wir den Lkw verlassen und die Soldaten sagten, wir sollten abhauen, sie würden den Lkw sprengen und sich absetzen. Nun ging es zu Fuß weiter in Uniform und mit Rucksack, mit vielleicht dem Letzten, was wir besaßen, denn wir wussten nicht, was uns in der Heimat nach den schweren Bombenangriffen auf Paderborn erwartete.
Wir marschierten in den Ostersonntag hinein und als wir in Stukenbrock ankamen, gingen die Einwohner in die Ostermesse. Wir schlossen uns ihnen an, das war der 1. April 1945.
Da uns auf unserem weiteren Weg immer wieder Soldaten entgegen kamen, die Paderborn verlassen hatten und von den Trümmern und vielen Toten erzählten, beschlossen wir, das Kriegsende bei Margrets Tante in Feldrom bei Horn/Lippe abzuwarten. Wir blieben fast eine Woche in Feldrom. Als erstes wurde die Uniform ausgezogen und versteckt.
Über Umwege wagten wir dann, nach Paderborn zu kommen. In den Wäldern lagen tote Soldaten, die in diesen letzten Kriegstagen noch ihr Leben lassen mussten. Eine Übernachtung machten wir noch bei Margrets Eltern in der Stadtheide, das war Außenbezirk. Am nächsten Tag begleitete uns ihr Vater in die Stadt, die von den Amerikanern besetzt war. Am Bahnwärterhäuschen an der Driburger Straße wurden wir von der Militärpolizei kontrolliert: Gut, dass wir die Uniform in Feldrom gelassen hatten!
Als ich an der Grimmestraße ankam, lag unser Haus, das mein Vater acht Jahre zuvor gebaut hatte, in Schutt und Asche. Meine Eltern fand ich im Außenbezirk Paderborns, wohin sie evakuiert waren, mein Bruder war in Amerika in Kriegsgefangenschaft.«
(notiert von Andrea Pistorius)

Artikel vom 15.02.2005