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»Matthäus-Gemeindehaus zuerst geopfert«

Mögliche Verpachtung und »erschreckende« Zahlen sorgen weiter für Aufregung

Lübbecke (jug). »Die Sache mit der Verpachtung geht einfach zu schnell. Ich finde, wir haben noch nicht genug nach Alternativen gesucht.« Diese Ansicht einer Besucherin teilten viele der 111 Gemeindeglieder, die sich am Samstagabend zur Versammlung im Matthäus-Gemeindehaus eingefunden hatten. Doch gegen den Willen zum Engagement stand das »erschreckende« Zahlenwerk, das Pfarrer Eberhard Helling vorgestellt hatte. Obwohl es sich bei den Prognosen für die nächsten fünf Jahre um geschätzte Hochrechnungen handele, wie Helling betonte.
Die teilnehmenden Gemeindeglieder verfolgten die Diskussion mit großem Interesse. Vielen gehen die Überlegungen zur Verpachtung einfach zu schnell. Foto: Julia Graf
Wie berichtet (s. LK vom 2. Februar) hat die akute Finanznot der Kirchen die evangelisch-lutherische Gemeinde in Lübbecke zu der Überlegung geführt, die Nutzung des Matthäus-Gemeindehauses »zur Disposition« zu stellen, konkret: Das Gebäude im Rahmen eines Erbpachtvertrages für 30 Jahre an die ev.-freikirchliche Gemeinde zu verpachten. Davon verspricht man sich Einsparpotenzial von rund 25 000 Euro im Jahr an Personal- und Betriebskosten.
Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung im Land, die Steuergesetzgebung und nicht zuletzt der demographische Wandel, sprich die immer älter werdende Gesellschaft, nannte Helling als Gründe für die Finanzmisere: In den fast 14 Jahren, seit er hier sei, sei die Zahl der Mitglieder von mehr als 10 000 auf etwa 8 600 gesunken, und das mache sich auch in den Zuweisungen für die Gemeinde deutlich. »Wir müssen uns so aufstellen, dass wir für die Zukunft handlungsfähig bleiben und nicht von der Entwicklung überrollt werden. Die Situation wird sich in den nächsten fünf Jahren extrem verschärfen.« Und weiter: »Meine Idee ist es: Lasst uns das, was wir haben, als Kern bewahren, für uns und die, die nach uns kommen: Und das Zentrum ist nach meiner Wahrnehmung die St. Andreas-Kirche.«
Sicherlich sei die Kirche, wenn es rein um's Geld gehe, das teuerste Gebäude. Doch hier solche Maßnahmen zu ergreifen, das könne man sich natürlich nicht vorstellen.
Im Haushaltsjahr 2005, so erläuterte Eberhard Helling, bleiben für die Kirchengemeinde Mindereinnahmen in Höhe von gut 53 400 Euro. Da es aber allen Gemeinden so ginge, zahle der Kirchenkreis aus seinen Rücklagen für die nächsten drei Jahre jeweils eine Überbrückungspauschale von knapp 35 400 Euro, so dass 2005 unterm Strich noch ein Minus von gut 18 000 Euro bleibe (Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Spendeneinnahmen werde der Haushalt 2005 allerdings ausgeglichenen.)
»Erschreckend« die Prognosen für die kommenden Jahre: So würde das Defizit von gut 56 900 Euro im Jahr 2006 bis zum Jahr 2009 auf rund 156 000 Euro anwachsen. Bei den sinkenden Einnahmen mache sich durch die demographische Entwicklung vor allem die Pauschal-Zuweisung pro Gemeindeglied bemerkbar: 23,38 Euro 2005 auf 21,53 Euro 2006 bis auf 15,70 Euro im Jahr 2009. Hinzu komme eine nicht »irreale« Kostensteigerung von zwei Prozent. Von Kirchgeld, über neue Einnahmen durch zusätzliche Nutzung des Gemeindehauses (z.B. für Beerdigungskaffee) und »Klinkenputzen« reichten die Vorschläge der Gemeindeglieder.
Gleichwohl: einen Freundeskreis zu gründen, sei nicht das Problem, warf Pfarrer Eckhard Struckmeier ein, doch es stelle sich die Frage: »Wie lange können wir das stemmen?«
»Erst wird das Gemeindehaus aufgelöst, dann der ganze Pfarrbezirk«, befürchtete eine Teilnehmerin, und in fünf Jahren sei dann das Thomas-Gemeindehaus dran. Hier werde im Grunde das Matthäus-Gemeindehaus als erstes vor dem Thomas-Gemeindehaus »geopfert«, so eine andere Stimme. Auch tauchte die Frage auf, ob man mit der Verpachtung des Hauses »das Loch überhaupt stopfen könne«. Für das Presbyterium machte Eyke Blöbaum deutlich, dass man von einer Verpachtung keine zusätzlichen finanziellen Freiräume zu erwarten habe.
Blöbaum wies auch darauf hin, dass man den Zeitpunkt nicht verpassen dürfe, wenn sich wie jetzt ein Interessent finde. Sonst stelle sich in zwei Jahren vielleicht die Frage, ob man das Gemeindehaus nicht sogar schließen müsse, ohne eine weitere Nutzung.
Angeregt wurde auch, einen kleinen Raum des Hauses dem Kindergarten zuzuschlagen, um so wenigstens noch einen »Matthäus-Treff« zu behalten. Lutz Schäfer, Leiter des ev. Alten- und Pflegeheims, erklärte, die Diakonie als Träger des neuen, auf dem früheren Kasernengelände geplanten Pflegeheims (»Das wird mit 98-prozentiger Sicherheit gebaut.«) könne sich eine enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde gut vorstellen. Vielleicht könne die Diakonie auch das nicht genutzte Dachgeschoss des neuen Heims zur Verfügung stellen.
»Die Diakonie würde diesen Raum doch sicher nicht umsonst zur Verfügung stellen«, bezweifelte ein Zuhörer, so entstünden neue Kosten.
An den Einnahmen arbeiten, anstatt das Haus zu verpachten: So der Tenor vieler Besucher am Samstag. Dennoch: Die Zahl der lediglich 111 zur Versammlung erschienenen Gemeindeglieder von mehr als 8 600 stimmte die engagierten Zuhörer nachdenklich.

Artikel vom 14.02.2005