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Melodien in Moll und Verse
über die Vergänglichkeit

Bachtage: Lieder und Rezitation im Storck-Treffpunkt

Halle (WB). Ein Abend im Moll: Mit dem innigen »Abendsegen« aus Humperdincks »Hänsel und Gretel« endete ein gefühlvoller Lieder- und Rezitationsabend im Storck-Treffpunkt. »Ein Stündlein wohl vor Tag . . .« haben die vier Akteurinnen ihre musikalisch-literarische Reise durch die Zeit genannt.

»Wir leben 25 Minuten zu spät - von rechts gesehen. Von links gesehen, leben wir 20 Minuten zu spät«, rezitierte Stefanie Köhler zu Beginn der Veranstaltung ein Gedicht des Dadaisten Kurt Schwitters, bevor Maria Rebecca Stöhr (Mezzosopran) und Andrea Stadel (Sopran) - beides übrigens Schülerinnen der in Halle gut bekannten Professorin Maria Venuti - Tages-, Jahres- und Lebenszeiten quer durch alle Epochen besangen. »Der Tod, der ist Musik geworden«: Sie beschworen Romantiker wie Hugo von Hofmannsthal und Robert Schumann, ernste, aber weltliche Gesänge von Johannes Brahms und Hugo Wolf, modernere Stücke von Arnold Schönberg, dem Erfinder der Zwölftonmusik, und Luigi Dallapiccola, der sich ebenfalls diesem Musik-Genre verschrieben hatte.
Der glasklare Sopran und der dunklere Mezzosopran mit dem leichten Tremolo sangen beseelt von regenschweren, sturmbewegten Tagen, verlassenen Mägdlein, von schleichenden Nächten, abgelaufenen Sanduhren, Sensen und dem Drama des Elfenalltags. Am Klavier wurden sie einfühlsam begleitet von Rita Klose, die mit Andrea Stadel in die Yehudi-Menuhin-Stiftung »Live Music Now« aufgenommen worden ist.
Ein ausgleichendes Element brachten fast ausschließlich die eher heiteren Verse in den Abend, die Stefanie Köhler vortrug. Gekonnt amüsierte sie das Publikum mit Überlegungen, ob man denn eine Epoche einfangen kann, die bekanntlich ja etwas größer ist als ein Moment, der sich generell dem Einfangen widersetzt, mit »unzähligen Einzahlen« und Schubarts heiterem Gedicht »An die stumme Iris«. Neben Gedichten, in denen ihr komödiantisches Talent sich entfalten konnte, rezitierte sie Liebes- und Naturlyrik und Anakreontisches. Und immer wieder Verse über die Vergänglichkeit.
»Wenn einer fortgeht, muss er den Rest des Weins ins Meer gießen und fahren mit wehendem Haar . . .« Die Dichterin Ingeborg Bachmann hat das »Carpe diem« bekanntlich beherzigt. Dieser Liederabend war in Worten und Musik eine Aufforderung, die Rose zu pflücken.KLAUDIA GENUIT-THIESSEN

Artikel vom 10.02.2005