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Der Jeckenkessel brodelt

50 000 Narren feiern den Höhepunkt der fünften Jahreszeit


Von Meike Oblau (Text) und Wolfgang Wotke (Fotos)
Rietberg (WB). »Simone aus Kölle wirft Strüssje statt Kamelle«: einen Hauch von kölschem Karneval verbreitete sie schon in Rietberg, Prinzessin Simone I. Segger. Rote Rosen verteilte die gebürtige Kölnerin auf dem Rosenmontagszug. Sie hätte aber wohl noch zwei Anhänger an ihrem wunderschönen Prunkwagen benötigt, wenn sie für alle Narren ein Sträußchen hätte parat haben wollen. 50 000 Zuschauer nämlich hatte der größte Karnevalsumzug des Kreises gestern angezogen.
Während Simone I. Rosen verteilte, hatte es sich ihr Prinzgemahl Franzel I. in einem überdimensionalen Sektkübel bequem gemacht. Der Höhepunkt der Session hatte diesen Namen wahrlich verdient. Bunt und farbenfroh, von kreativ bis verrückt präsentierten die Karnevalisten Prunkwagen, Kostüme und Spruchbänder, die auch hochaktuelle Vorfälle aufs Korn genommen hatten. Der Schiedsrichterskandal um Robert Hoyzer etwa erfuhr in Rietberg eine ganz neue Wendung. Die heimischen Handballer präsentierten auf ihrem Wagen einen großen Wettzettel mit hohen Quoten - natürlich hatten sich alle Rietberger Kicker stets gegen den haushohen Favoriten durchgesetzt. GW Varensell gegen FC Bayern 14:1, das sagten die »Quotenmacher« aus der Emsstadt voraus, Schiris mit Baströckchen zeigten den Zuschauern die Rote Karte. Auch die Westerwieher Germania hatte das Thema Fußball aufgegriffen und erinnerte an den Besuch von Klaus Fischer in der »Berkenheide-Arena«: »Klaus Fischers Fußballschule macht uns fit - für die WM sind wir nun Favorit«. Ob auf diesen Tipp schon Wetten angenommen wurden, ist nicht bekannt.
Wie schon die Prunksitzungen so war auch der Umzug von viel Lokalkolorit geprägt. Die Anwohner von der Dasshorst und Manuel Paehler und Freunde kommentierten die Schließung der Post: »Die Post ist weg, die Schalter futsch, wir bringen die Briefe jetzt per Kutsch«. Geschlossen haben sie die Schalter - nun machen wir«s wie im Mittelalter.« Die Neuenkirchener vom Humansweg kommentierten die Schließung der Kornbrennerei Stadler: »Sperrstunde - keine Kurzen mehr für die Kurzen.« Und auch der Rietberger Schützenverein musste für einen Gag herhalten, erinnerten sich doch die Alten Herren Ü 50 daran, dass die Schützengilde 2004 beinahe keinen König gefunden hätte: »Das ist der wahre Hohn, Rietberg findet keinen Thron. Der Schützenvorstand sieht«s mit Grauen, König werden nur noch Frauen.«
Johannes Rodejohann, traditionell als »Ein-Mann-Fußgruppe« unterwegs (diesmal mit dem Hinweisschild »Ein-Euro-Job« auf dem Rücken) forderte Leinenzwang für Hunde an der neuen Umflut: »Unsere neue Wallanlage dient dem Hund als Kotablage.« Und auch der Bundestag bekam sein Fett weg: »Macht die ganze Welt auch Witze, bald sind wir wieder Spitze. Oder auch nicht«, meldeten Skeptiker leise Zweifel an den optimistischen Parolen der Regierung an. Zweifel hatte in Rietberg indes gestern niemand. Hier stimmten die optimistischen Parolen. Der Umzug war spitze. Punkt.

Artikel vom 08.02.2005