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Bombe traf nur
den Misthaufen

Josef Potthast betete wie noch nie

Paderborn (WV). Josef Potthast, Jahrgang 1936, hat seine Kriegserinnerungen für seine Enkelkinder in einem kleinen Buch mit dem Titel »Als das Lametta vom Himmel fiel« festgehalten. Er wohnte in den Kriegsjahren mit seinen Eltern und vier Geschwistern zur Miete in einem Bauernhaus am Pohlweg.
Josef Potthast (rechts) war gerade acht Jahre alt, als er bei einem Bombenangriff für sich selbst und die beiden jüngeren Geschwister Helga und Alfred sorgen musste. Die Eltern waren gerade nicht da. Josef Potthast, seine Eltern und vier Geschwister überlebten den Krieg. Foto: Ulrich Grotewold
»Dann kommt der 17. Januar 1945. Der Winter hatte mit Schnee und Kälte Einzug gehalten. Die Mutter musste schon in der Frühe Else (14) zum Krankenhaus bringen . . . Josef (8) will der Mutter eine Freude machen und zu Mittag »Blinde Fische« braten. Er weicht dazu Zwiebäcke in Milch ein und brät sie in der großen Pfanne, in die er etwas Margarine gegeben hat.
Kaum ist er damit fertig, ertönen die Sirenen zum Vollalarm. Schnell rennt er mit seinen beiden kleinen Geschwistern die Treppen hinunter in den Luftschutzkeller. Dort ist bereits die Familie des Bauern versammelt. Josef setzt sich mit den Geschwistern auf eine Holzbank in die Ecke neben den Regalen mit den Einmachgläsern. Da fallen auch schon die ersten Bomben. In das furchtbare Getöse mischt sich das Brummen der Flugzeuge. Brandbomben heulen durch die Luft, Fliegerabwehrkanonen rattern, die dicken Wände des alten Bauernhauses beben. Es riecht nach Feuer und Schwefel. Das Inferno steigert sich bis ins Unerträgliche. Josef und alle anderen beten wie wohl noch nie in ihrem Leben.
Plötzlich gibt es einen gewaltigen Krach. Das Haus wird hin und her geschüttelt. Dachpfannen wirbeln sogar die Kellertreppe herunter. »Jetzt ist unser Haus getroffen, gleich müssen wir sterben«, denkt Josef.
So schnell wie der grausame Spuk gekommen war, ebbt er auch wieder ab. Eine Sirene in der Ferne bläst Entwarnung. Josef stürmt als erster aus der Waschküche in den rückwärtigen Hof. Welch ein Anblick! Der Schnee ist mit schwarzem Staub überzogen. An der naheliegenden Warburger Straße brennt ein Haus lichterloh. Dunkler Qualm überall. Rund um das Bauernhaus liegen Dachpfannen, dazwischen lauter Mist. Mist und Stroh sogar auf den Nachbardächern. Wie ist das möglich?
Alle gehen durch den Stallgang in die Scheune. Die Kühe haben sich noch nicht wieder beruhigt. Sie brüllen und zerren an ihren Ketten. Die Schweine quieken und drücken sich in die Ecken ihrer Boxen. Nur die drei schweren Ackergäule stehen still vor ihren Futterkrippen.
Josef und die anderen bahnen sich einen Weg über die Scheune durch ein Gemenge von zerbrochenen Dachpfannen, von Heu und Stroh in den Vorderhof. Dort, wo ein großer Misthaufen gelegen hatte, ist ein riesiger Bombentrichter, ein Krater mit einem Durchmesser von wohl acht Metern.
Der Bauer steht bleich und stumm. Welch ein Glück, was für ein Wunder, dass die Bombe so weich gefallen ist - nur wenige Meter vom Wohnhaus entfernt. Das ist bis auf ein paar Löcher im Dach unversehrt. Aber die ganze Scheune stand da ohne Dachpfannen«.(notiert von Andrea Pistorius)

Artikel vom 05.02.2005